Varoufakis, die ARD und ein Stinkefinger
Tom Strohschneider über »Günther Jauch«, ein Video des griechischen Finanzministers von 2013 und die deutsche Empörungsmaschine gegen Griechenland
Hat Yanis Varoufakis den Stinkefinger gegen Deutschland herausgeholt? Einmal abgesehen davon, dass es dafür sogar gute Gründe geben könnte, vor allem, wenn man darüber aus Sicht eines griechischen Linken nachdenkt, steht die Frage nach der ARD-Sendung »Jauch« nun plötzlich im Zentrum der Debatte über die Krisenpolitik.
Stopp: Stimmt ja gar nicht. Es geht gar nicht um Krisenpolitik, um die populäre Lüge von den »Hilfen der Deutschen«, um die beschämende Haltung der SPD, deren Vorsitzender jetzt noch den Hofhund für Merkel und Schäuble spielt. Und es geht hier auch nicht um eine mögliche Alternative zur Austeritäts-EU, wie sie von der Regierung in Berlin erbittert verteidigt wird.
Der Stinkefinger von Varoufakis hat vielmehr die Voreingenommenheit deutscher Medien in den Fokus gerückt. Nicht nur der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat mit Blick auf die Darstellung von Varoufakis’ Stinkefinger in der Jauch-Sendung kritisiert, »dass die Redaktion von Günther Jauch die Aussage von Varoufakis in dem Video verfälscht hat«. Während es die ARD so aussehen ließ, als spreche in dem Filmausschnitt schon der griechische Finanzminister und wende sich in dieser Funktion quasi direkt an Deutschland, handelt es sich in Wahrheit um ein Video von 2013. Varoufakis war damals als Ökonom mit seinem Buch »Der globale Minotaurus« auf Tour - und nimmt Bezug auf den Beginn der Krisenpolitik im Jahr 2010 und Argentinien, er spricht dabei eine hypothetische Möglichkeit an: »My proposal was that Greece should simply announce that it is defaulting - just like Argentina did - within the Euro, in January 2010, and stick the finger to Germany and say: ›Well, you can now solve this problem by yourself.‹«
Und dann kam der Finger. Das kann man für falsch halten, die ARD hat es aber in einen Beweis des angeblich »halbstarken« Finanzministers in Athen umzudeuten versucht.
Dass dieser damit konfrontiert sagt, er habe den Stinkefinger nie gezeigt, ist das eine. Das andere ist, dass der normale Zuschauer nicht wissen konnte, was in dem kurzen Videoausschnitt der ARD wirklich gesagt wurde und wann. Zwar wurde kurz »Mai 2013« eingeblendet - aber weder der Bezug des Gesagten noch der Kontext der Rede wurden klargestellt. Stattdessen wurde es wie eine Unterstellung anmoderiert.
»Dass er sich auf 2010 bezog, hätte man allerdings sagen sollen«, twitterte am Sonntagabend sogar der Fernseh-Chefredakteur des NDR, Andreas Cichowicz - nachdem in Sozialen Netzwerken umgehend Kritik an der ARD-Zurichtung der Wirklichkeit laut geworden war.
Bleibt die Frage, was uns dieser falsche, richtige Stinkefinger sagen sollte. Wenn er wie hier in dieser Talksendung nur als unbotmäßige Geste von Leuten interpretiert wird, die hierzulande noch von jedem Kommentar-Praktikanten als »Halbstarke« bezeichnet werden dürfen; wenn damit ein Staatssender die Reproduktion eines ganz bestimmten Zerrbildes von jenem Mann vorantreibt, der im Konflikt um die Krisenpolitik in der ersten Reihe steht - aber eben auf der Angela Merkel und Co gegenüberliegenden Seite -; wenn damit bloß neuerlicher Dreck auf den Schwingboden der Diffamierung von Mitgliedern der SYRIZA-geführten Regierung geworfen wird - dann sagt der Stinkefinger vor allem etwas über den, der sich über ihn empört.
Stefan Niggemeier hat Recht, wenn er darüber hinaus auf einen wichtigen Punkt verweist: dass hier nun »natürlich eine weitere schreckliche Ablenkung« im Gange ist, »die verhindert, sich den wichtigen Fragen dieser Krise zu stellen«.
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