Pistolen-Schuberts Tatwaffe
KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zeigt die Lager-SS mit ihren Verbrechen
Ein paar Besucher sind aus Versehen am Freitag schon hineingegangen. Doch die erste Dauerausstellung im Turm der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wird erst am Sonntag um 14 Uhr eröffnet. Am Freitag waren die Exponate noch gar nicht vollständig aufgebaut. So lagen Pistolen, Gewehre und Schlagstöcke auf Tischen. Sie sollen in Vitrinen gezeigt werden. Auch das Maschinengewehr, das einst auf dem Dach montiert war, fehlte noch.
Turm A erhebt sich über dem Eingang des Konzentrationslagers. In dem Gebäude war die gefürchtete Abteilung III der Lagerverwaltung untergebracht. Unten befanden sich die Postzensurstelle und die Wache, oben hatte der Schutzhaftlagerführer sein Büro mit Ausblick auf den Appellplatz und die Baracken. Rudolf Höß (1901-1947) residierte dort, bevor er zum Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz aufstieg. Ihm untergeordnet waren die Rapport- und Blockführer, also die SS-Männer, mit denen es die Häftlinge täglich zu tun hatten. Darum haben sie den Lagerführer immer als den eigentlichen KZ-Kommandanten empfunden, sagt Gedenkstättenleiter Günter Morsch. Der wirkliche Kommandant saß in einem anderen Gebäude und wurde von den meisten Häftlingen nicht wahrgenommen.
Der erzürnte Rudolf Höß hat im Januar 1940 in Sachsenhausen 800 geschwächte Häftlinge bei Minusgraden auf dem Appellplatz stehen lassen. Nach zwei Tagen waren 150 von ihnen erfroren. Dies geschah, weil Höß in Wut geriet, als er hörte, dass zwei mutige Zeugen Jehovas vor einem SS-Mann nicht aufgestanden waren.
Über solche Beispiele informiert die neue Ausstellung »Die Konzentrationslager-SS 1936-1945: Exzess- und Direkttäter«. Damit wird der Turm A Besuchern zugänglich. Seit der Eröffnung der Gedenkstätte 1961 hat bis zur Wende in dem alten Büro von Höß immer der jeweilige Direktor der Gedenkstätte gesessen - zuerst Christian Mahler, ein ehemaliger kommunistischer Häftling. Ein Foto zeigt Mahler an seinem Schreibtisch. Auch Morsch ist dieser Platz 1993 angeboten worden, als er sein Amt antrat. Doch er lehnte ab und fasste noch im selben Jahr den Plan, hier eine Ausstellung über die Täter unterzubringen. Nun ist es endlich soweit.
»Eine seriöse historische Täterforschung gibt es erst seit Mitte der 90er Jahre«, erläutert Morsch. Vorher sei die Vorstellung von den SS-Leuten von ihren Opfern bestimmt gewesen. KZ-Überlebende schilderten die Täter als »Sadisten«, sagt Morsch. »Das ist nicht falsch«, fügt er hinzu. Aber ein »Tätergen« habe die Wissenschaft nicht entdecken können. Die Täter seien zwar eher aus der Mittelschicht gekommen, aber doch aus allen Schichten. Das habe sich nicht auf eine bestimmte soziale Herkunft beschränkt oder auf den Bildungsgrad. Es hat dumme und intelligente Männer unter den Mördern gegeben, die mit ihren exzessiven Gewaltausbrüchen noch über das hinausgingen, was durch die Schreibtischtäter in der nahe gelegenen Inspektion der Konzentrationslager schon vorgegeben war.
Der eigenhändig verübte Totschlag und der vom Schreibtisch aus verfügte Mord hängen aber eng miteinander zusammen. Morsch illustriert das am Beispiel des österreichischen Staatsanwalts Karl Tuppy. Dieser hatte, als Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1934 bei einem gescheiterten faschistischen Putsch in Wien getötet wurde, Anklage gegen die Mörder erhoben. Deswegen hassten ihn die Nazis. Als er 1939 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert wurde, rief man schnell zwei als besonders brutal bekannte SS-Männer herbei, die Tuppy zu Tode quälten.
Deutsche Gedenkstätten versachlichen die historischen Ereignisse in der Regel. Das werde ihnen vom Ausland vorgeworfen und »nicht zu unrecht«, findet Morsch. Darum stehen die Biografien der Täter nicht im Vordergrund der Ausstellung. Der Besucher muss erst die Bildnisse der Täter beiseite klappen, auf denen sie sich selbstbewusst in Uniform präsentieren, um die Lebensläufe nachlesen zu können. Gleich in den Blick fallen dagegen Zeichnungen der Häftlinge von den Quälereien durch diese Männer.
Viele Täter bekamen von den Häftlingen bezeichnende Spitznamen wie »Eiserner Gustav«, »Pistolen-Schubert« und »Brutalla«. Die Waffe von Wilhelm Schubert kann angeschaut werden. Mit dieser Pistole hat er aus dem Fenster von Turm A auf Häftlinge geschossen. Er hat sie erschossen!
Gefoltert und gemordet wurde auch mit Peitschen, mit Schlagstöcken und durch Stiefeltritte. Ein paar solcher Stiefel sind zu sehen. »Die Menschen totzutreten, das ist ein Verfahren, das die Neonazis heute noch lieben«, bemerkt Morsch. Dies sei Ausdruck des vermeintlichen »Herrenmenschentums«.
Mit Blick auf die Gewalt verglich Morsch das deutsche KZ mit dem sowjetischen Gulag: Wer Alexander Solschenizyns Roman »Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch« gelesen habe, der wisse um den grundlegenden Unterschied. Die Mehrheit der Opfer, die im Totenbuch des KZ Sachenhausen verzeichnet sind, seien tatsächlich durch Mord und Massenmord ums Leben gekommen und nicht etwa wegen der schlechten Lebensbedingungen zu Grunde gegangen. Dagegen war es die nicht absichtliche, unzureichende Essensversorgung, die Insassen des späteren sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen reihenweise dahinraffte.
»95 Prozent der SS-Täter sind niemals bestraft worden«, weiß Morsch. Verurteilt wurden fast ausschließlich SS-Leute, denen konkrete Morde nachgewiesen werden konnten. Aber der 1949 in der Bundesrepublik zu acht Jahren Haft verdonnerte Schläger Willy Blume kam bereits 1950 wieder frei - bloß weil ein Belastungszeuge falsche Angaben zu seiner eigenen Person gemacht hatte.
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