Es war einmal ein »Rentnerparadies«
Die Sparauflagen der internationalen Gläubiger ließen in Griechenland die Pensionen deutlich sinken. Manchem reicht das noch nicht
»Griechische Renten liegen oft über den deutschen«, »Eines der teuersten Rentesysteme Europas« - kurz vor Alexis Tsipras’ Berlin-Besuch schrieben deutsche sogenannte Leitmedien Griechenland zum »Rentnerparadies« herauf. Als wollten sie die Grundlage schaffen für die Meldung der Deutschen Presse-Agentur, die SYRIZA-geführte Regierung habe in ihre Reformliste auch die Rente mit 67 aufgenommen. Während für Letzteres bisher keine Bestätigung aus Athen zu bekommen war, ist Ersteres höchstens in Teilen zutreffend. Ein Blick auf das komplizierte und durchaus reformbedürftige griechische Rentensystem - das sich schon aufgrund seiner Struktur nicht mit dem deutschen vergleichen lässt - lohnt sich dennoch. Wie bei anderen Finanzierungsquellen gehen Arm und Reich stark auseinander, und zwar zunehmend durch die Krise und die verfehlte Sparpolitik.
Dies konstatierte zuletzt eine erst in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Im Vergleich zum Vorkrisenniveau sind demnach die Durchschnittsrenten allein zwischen 2008 und 2012 um 8,3 Prozent gesunken. Gleichzeitig stieg aufgrund von Entlassungen die Zahl der Rentner erheblich an, um 305 780.
Gesunken ist in den Krisenjahren auch die sogenannte Bruttoersatzquote. Betrug die Rente nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2009 noch 95,7 Prozent der Erwerbseinkommen - dies war damals der höchste Wert unter den OECD-Staaten -, waren es 2013 nur noch 64 Prozent.
Doch noch seien die Renten im europäischen Vergleich recht hoch, schreiben »Handelsblatt« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung«. Zudem sollen die Durchschnittsrenten im von der Staatspleite bedrohten Griechenland bei fast demselben Wert liegen wie beim Krisenprofiteur Deutschland. Nach Angaben des griechischen Arbeits- und Sozialministeriums bezogen griechische Rentner durchschnittlich 956,83 Euro. Diese tatsächlich ausgezahlte Rente lag in Deutschland nominell niedriger: 734 Euro in den alten Bundesländern und 896 Euro in den neuen. Dies ist aber nur ein Durchschnittswert, den die Mehrheit der griechischen Rentner nicht erreicht. »Übersehen wird, dass ein Großteil der älteren Menschen hier von weniger als 500 Euro leben muss«, berichtet auch der ZDF-Korrespondent Alexander von Sobeck.
Laut in der Zeitung »To Vima« publizierten Angaben des Panhellenischen Verbands der Beschäftigten der Träger für Sozialpolitik (POPOKP) von Jahresanfang bezogen 76,5 Prozent der Pensionäre die Hauptrente mit weniger als 1000 Euro monatlich. 50 Prozent von ihnen erhält demnach eine Hauptrente von nicht über 500 Euro. Im Durchschnitt liege die Hauptrente bei 704 Euro. Nur 17 Prozent der griechischen Rentner beziehen mehr als 1500 Euro. Wie hoch die Rente ausfällt, hängt von der Rentenkasse ab. Davon gab es in Griechenland vor Ausbruch der Krise mehr als 100. Die Troika hatte vor, sie auf ein Dutzend zu reduzieren. Allerdings stößt dieses Vorhaben auf Widerstand insbesondere der Besserverdienenden, die ihre Privilegien bewahren wollen. Zu jenen zählten auch Beamte, die teils schon ab 50 Jahre eine Frühpensionierung bei nur geringen Abschlägen in Anspruch nehmen konnten. Dies war für die griechische Vorgängerregierung jedoch ein willkommenes Mittel, durch die Sparprogramme auferlegte Entlassungen sozial abgefederter zu gestalten.
Betont wird auch, dass die Griechen vergleichsweise früh in Rente gehen würden, im Schnitt mit 61,5 Jahren. Im Zuge der Troika-Memoranden wurde das Eintrittsalter allerdings bereits auf 65 Jahre erhöht. Viel Spielraum hat die neue Regierung hier also nicht. Dies war auch bisher nicht ihr Ansinnen. SYRIZA hatte in seinem Thessaloniki-Programm vom vergangenen Juni noch festgeschrieben, dass die Streichung des Weihnachtsbonus’ für die Bezieher einer Rente bis zu 700 Euro zurückgenommen werden soll. Davon betroffen wären rund 1,3 Millionen Menschen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.