»Und jetzt sag Heini zu mir«

Zum Tod des Film- und Fernsehregisseurs Helmut Dietl

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.

In »Kir Royal«, jener Fernsehserie aus den 1980er Jahren, in der Helmut Dietl der Münchner Schickeria, der Politik, den Medien, der saturierten bürgerlichen Arroganz der Besitzenden den Spiegel vorhielt, gibt es einen Szene mit Mario Adorf, die sich in das kollektive Mediengedächtnis eingeprägt hat. Mario Adorf alias Generaldirektor Heinrich Haffenloher droht dem Klatschreporter Baby Schimmerlos: »Ich mach dich nieder, Schimmerlos (...) Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Irgendwann nimmst du es, dann bist du mein Knecht, dann mach’ ich mit dir, was ich will.« Dabei ist der Schluss der Szene mindestens ebenso aussagekräftig, als Haffenloher, von Mario Adorf mit einer Mischung aus Arroganz und Larmoyanz gespielt, seine Stimme wieder senkt und zu Baby Schimmerlos sagt: »Mensch Junge, ich mag dich doch, ich will doch nur dein Freund sein. Und jetzt sag Heini zu mir.«

Man muss sich diese Szene in anderer Besetzung vorstellen: Alexis Tsipras als Baby Schimmerlos, Wolfgang Schäuble als Heinrich Haffenloher , dann hat das, was Helmut Dietl mit »Kir Royal« vor gut 30 Jahren entwarf, dramatische Aktualität.

Die Arroganz der Besitzenden gegenüber den Habenichtsen war bereits Mitte der 1980er Jahre im reichen München in jeder ihrer verbalen und nonverbalen Äußerungen spürbar. Dabei war der Reporter Schimmerlos nicht einmal ein Habenichts, er lebte im schicken Schwabing mit einer schicken Freundin (Senta Berger als Mona) in einer schicken Wohnung, fuhr einen schicken Wagen und schlürfte den Kir Royal auf schicken Cocktailpartys. Für Menschen vom Schlage eines Haffenloher war Schimmerlos aber genau das: ein Habenichts, denn Schimmerlos lebte von den Brosamen, die Haffenloher und die Seinen den Medien zum Fraß vorwarfen. Schimmerlos, der immer davon träumte, ein aufrechter Journalist zu sein, musste sich in der Tat von Leuten wie Haffenloher aushalten lassen; sie bezahlten seine Spesenrechnungen und die rauschenden Feste, auf denen die ganze halbseidene Halbprominenz auftauchte, deren Skandälchen das Futter für den Klatschreporter Schimmerlos waren.

Helmut Dietl hat viel hinterlassen, nicht nur Sprüche, Wortsubstrate, die prägnant das Lebensgefühl von Milieus beschreiben, wofür Soziologen ganze Bücher brauchen; Begriffe wie »Logisch« oder »Sowieso« (der Berufsjugendliche »Tscharlie« in den »Münchner Geschichten«, 1974/75) oder »Ein bisserl was geht immer« (der Filou Monaco Franze in der gleichnamigen Serie, 1983). Helmut Dietl hat eine Haltung hinterlassen, die es heute im TV-Geschäft nicht mehr gibt. In seinem letzten großen Interview, das der Chefredakteur der »Zeit«, Giovanni di Lorenzo, im November 2013 mit Dietl führte, fragt dieser den Regisseur, wie er sich die Beliebtheit von »Monaco Franze« bei den Programmplanern erkläre, die die Serie auch 30 Jahre nach der Erstausstrahlung ein um das andere Mal im Fernsehen wiederholen. »Ich kann Ihnen sagen, warum. Ich habe diese Serie aus Liebe gemacht.«

Damit ist alles gesagt, was den Reiz des Fernsehens ausmacht und dessen kulturelle Möglichkeiten andeutet. Gleichzeitig beschreibt diese Antwort aber auch das derzeitige Elend des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Helmut Dietl war ein Gestriger dieses Metiers. Dietl machte Einschaltquote, eben weil er nicht auf die Quote schielte. Vor wenigen Tagen stellte sich im »Deutschlandradio Kultur« dessen Chefredakteur Peter Lange den Fragen von Hörern. Anlass war das Verhalten der Medien nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen vergangene Woche. Es ging um die ethische Verantwortung von Journalisten. Warum die öffentlich-rechtlichen Sender teilweise ähnlich skandalisierend und boulevardesk über den Flugzeugabsturz berichteten wie die privaten TV-Kanäle, wollte ein Hörer vom Chefredakteur des durch Rundfunkbeiträge finanzierten Senders wissen; diese bräuchten die Quotenhatz doch nicht mitzumachen, denn im Gegensatz zu den ausschließlich über Werbung finanzierten Privaten seien die Öffentlich-Rechtlichen nicht auf die Quote angewiesen. Peter Lange überging die Frage.

Irgendjemand hat Helmut Dietl einmal mit Woody Allen verglichen. Das war zu der Zeit, als sein »Monaco Franze« (Helmut Fischer), ein Kriminalkommissar und Schwerenöter, ein Beamter mit Pensionsanspruch, der sich doch von seiner adeligen Frau (Ruth Maria Kubitschek) aushalten lassen muss, im bayerischen Fernsehen lief. Es waren ironische Geschichten komischer, von Neurosen geplagter Großstädter.

Doch der Vergleich war ungerecht - sowohl gegenüber Allen als auch gegenüber Dietl. New York ist nicht München und Dietl war kein selbst von Verklemmungen und Neurosen Geplagter. Helmut Dietl war Bayer! Geboren wurde er am Tegernsee, dort, wo kein flaches Land den Blick weiten lässt, wo Berge sich der Weitsicht in den Weg stellen und man schon auf die Gipfel klettern muss, um die Welt erkennen zu können. Helmut Dietl machte vor 40 Jahren in den »Münchner Geschichten« die Gentrifizierung, das Verschwinden der kleinbürgerlichen Milieus bereits zum Thema, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Günther Maria Halmer spielte den »Tscharlie«, der, obwohl längst erwachsen, noch bei seiner Großmutter wohnt, weil er beruflich nichts zuwege bringt. In Berlin-Kreuzberg besetzten damals Gleichaltrige Häuser und ersponnen sich politische Visionen, in München ließ Dietl seinen »Tscharlie« eine verrückte Idee zum Gelderwerb nach der anderen zusammenfantasieren.

Die Serie war der erste große TV-Erfolg für Helmut Dietl. Den Grimme-Preis heimste er später gleich mehrfach ein, daneben nationale und internationale Auszeichnungen für seine Filme »Rossini« (sozusagen die filmische Fortsetzung der TV-Serie »Kir Royal«) und »Schtonk« (Dietls Verarbeitung der »Stern«-Affäre um die vermeintlichen Tagebücher Adolf Hitlers) sowie für die vielen anderen Fernsehserien, die er als Regisseur und Drehbuchschreiber konzipierte. Die Liste der Schauspieler, die mit Dietl zusammenarbeiteten, liest sich wie das Who’s Who der deutschen Mimengilde: Dieter Hildebrandt, Gisela Schneeberger, Götz George, Towje Kleiner, Therese Giese, Gustl Bayerhammer, Uwe Ochsenknecht, Michaela May, Christiane Hörbiger, Otto Schenk, Jasmin Tabatabai, Olli Dittrich und Harald Schmidt.

Ja, Harald Schmidt! Er und die letztgenannten Schenk, Tabatabai und Dittrich brillierten unter Dietl 1999 in »Late Show«. Ein harmloser Titel für eine bitterböse Zustandsbeschreibung des heutigen Fernsehbetriebs. Der Programmdirektor eines Privatsenders (Harald Schmidt) hat mit schlechten Einschaltquoten zu kämpfen. Radiomoderator Hannes Engel (Thomas Gottschalk) soll die Talkshow des Senders aus diesem Tief holen. Doch der findet, dass Fernsehen »blind und blöd« macht und lehnt zunächst ab. Mit einem Porsche als Geschenk und viel Geld lässt er sich aber dann doch ködern.

Der Kreis schließt sich. Baby Schimmerlos hat noch widerstanden, Hannes Engel kapituliert, so wie ARD und ZDF längst vor der Marktmacht der Privaten eingeknickt sind.

Am 30. März ist Helmut Dietl in München im Kreis seiner Familie nach einer schweren Krankheit verstorben.

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