Russland braucht Griechenland im Euro

Der Athener Russland-Experte Konstantinos Filis zum Treffen von Alexis Tsipras und Wladimir Putin

  • Lesedauer: 4 Min.

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hat kürzlich von einer Eiszeit in den Beziehungen zwischen Russland und Griechenland gesprochen, die er durch einen Frühling ablösen will. Warum sind sich die Länder in der jüngeren Vergangenheit fremd geworden?

Was Kultur und Religion betrifft, standen sich beide immer nahe. Im politischen Bereich dagegen schwankten die Beziehungen seit dem Fall der Sowjetunion zwischen neu᠆tral und sehr gut, waren aber nie strategische. In der Krise hat Russland keinerlei Hilfe geleistet, selbst ein erbetener Aufschub bei der Zahlung für Gaslieferungen wurde nicht gewährt.

An diesem Mittwoch ist Tsipras nun in Moskau. Ist dies ein ganz normaler Antrittsbesuch eines neuen Regierungschefs oder ein Affront gegenüber der EU?

Es ist sicher kein ganz normaler Besuch, denn er ist von hoher symbolischer Bedeutung und mit Erwartungen verbunden. Ob er auch Substanz hat, wird sich zeigen müssen. Was den Affront angeht, so handelt es sich hier um eine Heuchelei unserer europäischen Partner. Die erlauben sich selbst, ihre Beziehungen zu Russland, zu China und zu diversen anderen Ländern entsprechend ihrer eigenen nationalen Interessen zu gestalten. Griechenland aber soll darauf verzichten, mit dem Argument, dies stehe im Gegensatz zu den europäischen Interessen. Entweder können europäische Länder sich an ihren eigenen Interessen ausrichten oder aber man entscheidet, dass es eine gemeinsame europäische Politik gibt, die alle einhalten müssen. Dann aber müssten auch Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich ihre Zusammenarbeit mit Russland aufkündigen.

Vor seinem Besuch hat Tsipras erklärt, Griechenland könne als »Bindeglied« oder sogar als »Brücke« zwischen der EU und Russland fungieren. Wie realistisch ist das?

Solange die Ukraine ein Streitpunkt zwischen Russland und der EU ist, wäre jeder dahingehende Versuch zum Scheitern verurteilt. Nur wenn das Problem Ukraine tragfähig gelöst ist oder wenn die Verhandlungen unter der Federführung von Frankreich und Deutschland endgültig scheitern würden, könnte Griechenland in die Bresche springen. Dazu müssten die Beziehungen der beiden Länder aber tatsächlich strategische sein, wovon sie derzeit weit entfernt sind. Und die USA, Russland und Europa müssten damit einverstanden sein, dass Griechenland diese Rolle übernimmt. Denn Griechenlands Bedeutung ist bei Weitem nicht so groß, dass es sich ohne die Zustimmung der großen Akteure eine derartige Rolle anmaßen könnte.

Was die Regierung aber derzeit ganz richtig versucht, ist, ihre Beziehungen zu Russland zu entwickeln und gleichzeitig innerhalb der EU einen Block aus Staaten zu bilden, die tatsächlich an einer Wiederherstellung der Beziehungen mit Russland interessiert sind.

Immer wieder wird von verschiedenen Seiten ins Spiel gebracht, Russland könne für Griechenland eine Alternative zur EU sein. Kann Athen darauf setzen?

Russland kann eine ergänzende Rolle spielen, es ist keinesfalls eine Alternative oder ein Ersatz bei einem angenommen Bruch mit der EU. Russland ist daran interessiert, dass Griechenland in der Eurozone und in der EU verbleibt. Denn nur dann hätte es einen Verbündeten in dem Versuch, seine Beziehungen zur EU wieder zu normalisieren. Ein prorussisches Griechenland außerhalb der EU und ohne Einfluss nutzt ihm gar nichts. Dasselbe gilt übrigens auch für China, das in Griechenland ein Tor für den eigenen Handel nach Europa sieht. Ein von der EU isoliertes Griechenland hätte auch hier jede Attraktivität verloren.

Wie könnte diese ergänzende Rolle aussehen?

Es gibt eine ganze Reihe Felder für eine Zusammenarbeit im beiderseitigen Nutzen. So versucht Griechenland, vom russischen über die EU verhängten Gegenembargo bei Lebensmitteleinfuhren ausgenommen zu werden. Denn wir exportieren normalerweise zwar nicht unglaubliche, aber wichtige Mengen nach Russland. Ein zweiter wichtiger Bereich ist der kulturelle Austausch und vor allem der Tourismus. Denn aus Russland kommen jährlich nicht nur viele, sondern vor allem auch kaufkräftige Touristen nach Griechenland. Und dann gibt es noch den Energiesektor. Hier müssen wir sehen, was möglich ist, sowohl bei einer Verringerung des Gaspreises als auch beim Ausloten von Möglichkeiten etwa für eine griechische Beteiligung am russischen Turkish Stream Projekt.

Könnte Tsipras auf finanzielle Hilfe in Form von Krediten hoffen?

Eine Anfrage für einen Kredit von Russland im Fall, dass wir uns mit unseren europäischen Partnern nicht einigen können, würde die Büchse der Pandora öffnen. Russland und seine Finanzen sind selbst in einer schlechten Situation. Wird es uns überhaupt Geld leihen können? Und wenn ja, mit welchen Gegenleistungen? Es ist sicherlich besser, das zu vermeiden.

Tsipras ist ein liberaler Linker, Putin ein autokratischer Konservativer. Kann es überhaupt eine enge Beziehung zwischen beiden geben?

Es ist sicher schwierig, sich vorzustellen, wie beide auf persönlicher Ebene harmonieren könnten. Aber was sie eint, ist das gemeinsame Bedürfnis zu zeigen, dass es sich bei dem Besuch um den Beginn einer neuen Beziehung zwischen Russland und Griechenland handelt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.