Deutschland voll der Gnade
Man macht es sich zu einfach, die nun in die Waagschale geworfenen Reparationszahlungen als dumm zu titulieren. Wahr ist, dass der Zeitpunkt einer Debatte darüber sehr ungünstig gewählt wurde. Es wirkt ein bisschen so, als zöge sich die griechische Regierung auf den Standpunkt eines schnippischen Kleinkindes zurück, das die Arme verschränkt und sagt: »Du hast aber angefangen!« Es hat was von Ablenkung. Dass sie ausgerechnet dieser Tage zum Sujet werden, kommt sicher nicht von ungefähr. Die deutsche Verantwortung für den letzten Weltkrieg ist nicht zu leugnen. Aber aus reinem Kalkül sollte sie eigentlich nicht missbraucht werden.
Und trotzdem ist die Auflistung der zu leistenden Reparationen vielleicht sinnvoll. Oder sagen wir so: Dass sie bis heute immer noch nicht geleistet wurden von Deutschland, und noch im Jahre 2015, immerhin sieben Dekaden nach Kriegsende, zum Diskussionsstoff taugen, sagt viel über Europa aus. Wie es nämlich sein kann. Und wie es sein sollte. Integrativ nämlich. Man hat den Kriegsverursacher Deutschland nicht erdrückt, hat ihn »leben lassen«. Auch, weil man wusste, dass Europa nur eine Zukunft hat, wenn man keinen Grund zum Revanchismus liefert. Das war auch die Erfahrung des Versailler Vertrages. Man musste integrieren und eine Grundlage schaffen, auf der Europa ein friedlicher Kontinent werden konnte. Die moralische Schuld stand außer Frage. Die politische Verantwortung ohnehin. Aber man konnte Deutschland nicht zum Agrarstaat degradieren, wie sich das damals mancher gewünscht hatte. Das wäre unverantwortlich für eine friedliche Zukunft gewesen.
Nun ist Griechenland ja nicht Kriegsverursacher. Aber der Umgang mit Deutschland seinerzeit lehrt doch, wie man es handhaben müsste. Integration statt Sozialabbau. Schuldenerlass statt Privatisierungen. Kein Öl ins Feuer, sondern lieber auf Verbindlichkeiten verzichten. Nicht Härte zeigen, sondern Eingliederung zulassen. Genau das fördert den europäischen Zusammenhalt. Die Austeritätspolitik ist das Gegenteil davon. Sie vertieft die Gräben. Macht Europa unsicher. Schürt Ressentiments und erzeugt Skepsis zwischen den Bürgern verschiedener europäischer Nationen.
Mag also auch dem Kurs der griechischen Regierung, jetzt mit Forderungen nach Reparationszahlungen aufzulaufen, etwas Seltsames und Retourkutschenhaftes anhaften: Es ist ganz gut, dass man mal auf den Punkt bringt, dass Deutschland damals nicht dem Aderlass überstellt wurde. Man hat es aufgenommen in Europa. Nicht weil man moralisch integer war. Natürlich war es mitunter Selbstzweck. Auch der Amerikaner. Aber man hätte im europäischen Ausland durchaus anders mit Deutschland umgehen können. Man liebte dieses Land im Zentrum Europas vielleicht nicht, aber man gab ihm Schritt für Schritt eine Chance. Und genau das sollte jetzt auch mit Griechenland geschehen.
Es ist in gewisser Weise ein Zeichen von Unreife, wenn sich ein deutscher Politiker hinstellt und sagt, dass die geforderten Reparationen dumm seien. Die Debatte zeigt doch nur, wie dankbar man gerade in Deutschland sein sollte, dass das Land nach dem Weltkrieg nicht völlig ausgeplündert wurde. Auch das war eine Grundlage, auf der die deutsche Wirtschaftsdominanz in Europa fußte. Die Weimarer Republik hatte nie die realistische Chance, sich wirtschaftlich von selbst aufzurappeln. Zu viele Verbindlichkeiten hemmten die Ökonomie. Dieser Umstand führte – etwas vereinfacht gesagt - direkt in den Faschismus.
Statt zu sagen, dass noch 288 Milliarden Euro ausstehen, sollte die griechische Administration nun sagen: »Seht her, ihr da in Deutschland, eure Großeltern bekamen eine Chance damals. Jetzt gebt uns eine! Seid nicht maßlos und ruiniert unser Land mit eurer neoliberalen Ausverkaufsagenda.« Diese 288 Milliarden sind insofern nur ein symbolischer Wert dafür, dass dieses moderne Deutschland aus einem Akt der Gnade erwachsen ist.
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