Mutmaßungen über Braunkohle
Grüne fürchten Rohstofflieferung aus dem Lausitzer Revier in tschechische Kraftwerke
»Es kann nicht sein, dass die Menschen in Proschim ihre Heimat verlieren, weil in Tschechien Enteignungen für Braunkohle nicht mehr möglich sind«, sagt die Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky (Grüne). Das Dorf Proschim soll der Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd weichen, damit das Kraftwerk Schwarze Pumpe über das Jahr 2025 hinaus mit Braunkohle beliefert werden kann. Die Grünen reimen sich jetzt zusammen, dass Schwarze Pumpe möglicherweise gar keine Zukunft hat, dass die Kohle stattdessen exportiert und in tschechischen Kraftwerken verfeuert werden könnte. Der schädliche CO2-Ausstoß würde weitergehen. Der Transport über weite Strecken würde die Klimabilanz der Kohle sogar noch verschlechtern. Aber die Jobs in den Kraftwerken wären für Brandenburg verloren.
Die Überlegungen sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Schließlich möchte der schwedische Energieriese Vattenfall seine Lausitzer Braunkohlesparte verkaufen. Der tschechische Energieerzeuger ČEZ ließ im Februar verlauten, er wolle den Erwerb prüfen. Auch der tschechische Energiekonzern EPH hat Interesse bekundet.
In Tschechien seien Enteignungen von Grundstücken zugunsten von Tagebauen seit 2012 nicht mehr erlaubt, erklärt Schinowsky. Voraussichtlich wären die bestehenden Tagebaue im Nachbarstaat spätestens 2022 ausgekohlt. Neue Tagebaue ließen sich dort wohl nicht mehr aufschließen, da es immer einen Grundeigentümer gebe, der nicht freiwillig geht, wenn er nicht gezwungen werden kann.
Da liegt die Vermutung nahe, dass die EPH - immerhin wichtigster Wärmelieferant und zweitgrößter Energieerzeuger der Tschechischen Republik - nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma in der Heimat sucht. Aus dem rund um Halle und Leipzig gelegenen mitteldeutschen Revier wird bereits Braunkohle nach Tschechien exportiert. Gefördert wird diese Kohle von der MIBRAG. Diese gehört just seit dem Jahr 2012 zur Energetický a průmyslový holding (kurz: EPH). Schon seit 2014 hilft die MIBRAG, indem sie EPH-Töchtern in Tschechien Braunkohle schickt, wie MIBRAG-Sprecherin Sylvia Werner erläutert. »Der dortige Kohlelieferant hatte kurzfristig die Belieferung des Wärmekraftwerkes Opatovice eingestellt«, sagt Werner. Das Kraftwerk versorge knapp 60 000 Haushalte in der Region Hradec Králové und Pardubice, mehrere hundert Industriekunden, drei große Krankenhäuser, drei Universitäten, Schulen und Büros mit Wärme und Warmwasser.
Auch zur Aktiengesellschaft ČEZ gibt es eine Verbindung. Denn Eigentümer der MIBRAG war von 2009 bis 2012 ein tschechisches Konsortium, an dem die ČEZ-Gruppe beteiligt war. Die ČEZ-Gruppe ist nach eigenen Angaben zweitgrößter Stromexporteur Europas. In die Modernisierung ihrer Stein- und Braunkohlekraftwerke will sie umgerechnet 3,65 Milliarden Euro stecken. Vorgesehen ist dabei die vollständige Erneuerung von elf Braunkohlekraftwerken.
Zu schließen scheint sich der Kreis angesichts von Gedankenspielen im Hause von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), die Braunkohleverstromung in Deutschland durch eine Abgabe unattraktiv zu machen. Beweise für tschechische Importpläne fehlen allerdings. »Den Verkaufsprozess von Vattenfall kommentieren wir nicht«, stellt MIBRAG-Sprecherin Werner klar.
»Ob im großen Umfang Braunkohlelieferungen aus der Lausitz in die Tschechische Republik trotz hoher Transportkosten wirtschaftlich möglich wären, sind betriebswirtschaftliche Überlegungen, die vom Unternehmen anzustellen sind«, erklärt Gabriels Staatssekretär Rainer Baake. Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) teilt diese Auffassung. Eine Möglichkeit, per Bergrecht den Export heimischer Braunkohle ins Ausland zu untersagen, sieht Gerber nicht. Ihm seien keinerlei Exportpläne bekannt, gesteht er. Zu »hypothetischen Annahmen« könne er keine Auskunft geben. Der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (LINKE) sagt zu eventuellen Exporten aus der Lausitz: »Das sind Mutmaßungen. An diesen Spekulationen beteilige ich mich nicht.« Die LINKE habe klare Vorstellungen für die Verwendung der Braunkohle. Sie soll genutzt werden, bis erneuerbare Energie aus Quellen wie Wind und Sonne ausreichend und bezahlbar jederzeit zur Verfügung steht. Bei einem Export wären die Voraussetzungen für den Abbau der Kohle in Brandenburg nicht mehr gegeben, denkt Domres. »Da wäre landesplanerisch ein Riegel vorzuschieben.«
Für Domres besteht jedoch derzeit kein Anlass, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Vielmehr müsste diskutiert werden, was im Falle eines Verkaufs aus der Tagebausanierung wird. Hier schwant Domres, dass die dafür gebildeten Rücklagen nicht ausreichen könnten, so wie bei der Atomindustrie. »Das ist eine mindestens genauso spannende Frage wie die, ob irgendwann einmal Braunkohle nach Tschechien exportiert wird. Der Export ist im Moment für mich überhaupt keine Frage.« Seite 13
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