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Versicherung kündigt Vertrag wegen Flüchtlingsheim

Wegen »Gefahrenerhöhung« / Justizminister Maas spricht von einem fatalen Signal / Außenminister Steinmeier spricht wegen rassistischer Anschläge von »Schande«

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach dem Brandanschlag auf die geplanten Wohnungen für Flüchtlinge in Tröglitz hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD die Versicherungskonzerne aufgerufen, Verträge bei der Bereitstellung von Immobilien für Asylbewerber nicht zu kündigen. »Wenn Versicherungen ausgerechnet Verträge für Flüchtlingsunterkünfte kündigen, ist das ein fatales Signal«, sagte Maas der »Bild«-Zeitung. Wer Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung stelle, dürfe »nicht dadurch bestraft werden, dass ihm der Versicherungsschutz entzogen wird«.

Der »Bild« zufolge hatte zuletzt unter anderem die Baseler Versicherung einer Flüchtlingsunterkunft im Odenwald die Inventarversicherung gekündigt. Ende März habe die Ferienunterkunft ein Schreiben erhalten, indem die Kündigung mit »Gefahrenerhöhung« durch »Unterbringung von Flüchtlingen« begründet worden sei. Die Kündig sei dann aber bei Nachfrage durch das Blatt wieder zurückgenommen worden - es hieß, es habe ein »Missverständnis« gegeben. Offenbar gibt es in der Branche Debatten über die Verträge für Asylheime. In einem Rundschreiben des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft heißt es mit Blick auf Vertragskündigungen wegen der Unterbringung von Flüchtlingen, »sollte sich der auf den Beschwerden beruhende Eindruck festigen«, zitiert »Bild« aus dem Schreiben, »wäre die Branche einem erheblichen Reputationsproblem ausgesetzt.«

»Wir dürfen den Brandstiftern nicht das Feld überlassen. Vor menschenfeindlichen Übergriffen auf Flüchtlinge dürfen wir nicht zurück weichen«, appellierte Maas in der »Bild«. Es müsse alles dafür getan werden, »damit Flüchtlinge, bei uns sicher unterkommen«. Zuletzt hatte der Brandanschlag auf ein Gebäude in Tröglitz in Sachsen-Anhalt für Entsetzen gesorgt, in dem ab Mai Asylbewerber untergebracht werden sollten. Auch aus anderen Orten in Deutschland wurden immer wieder derartige Anschläge gemeldet. Auch Politiker sind Drohungen ausgesetzt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier fürchtet derweil Schaden für das Ansehen Deutschlands. »Die Ereignisse von Tröglitz sind eine Schande«, sagte der SPD-Politiker der »Welt am Sonntag«. »Wir sollten nicht überrascht sein, dass auch bei unseren Partnern in der Welt mit großer Sorge registriert wird, wenn in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brennen, und dass genau verfolgt wird, wie die deutsche Gesellschaft darauf reagiert.« Eine breite Mehrheit in Deutschland lehne Rassismus klar ab, betonte Steinmeier. Der SPD-Politiker rief eindringlich dazu auf, der Verantwortung für Flüchtlinge gerecht zu werden. Es müsse noch mehr passieren, um zu verhindern, dass »immer wieder Menschen auf dem lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer sterben«.

Der für Tröglitz zuständige Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), bat den Bund erneut um mehr Unterstützung. Die finanzielle Belastung der Kommunen durch die steigenden Flüchtlingszahlen befeuern aus seiner Sicht die rechte Propaganda. In seinem Kreis seien für dieses Jahr elf Millionen Euro für Asylbewerberleistungen veranschlagt - mehr als dreimal so viel wie 2014, sagte Ulrich der Zeitung »Die Welt«. Der Fehlbetrag im Haushalt verdopple sich von fünf auf zehn Millionen Euro.

»Das ist ein gefundenes Fressen für die Propaganda der NPD und anderer Rechtsextremisten. Ich kann unsere Kollegen aus der Bundespolitik nur dringend bitten, uns zusätzliche Mittel zuzuweisen«, sagte der Landrat. Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte am Donnerstag nach einem Treffen mit Landrat Ulrich in Naumburg vorgeschlagen, dass der Bund künftig die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen tragen könnte.

Aus vielen Ländern und Kommunen ist inzwischen der Ruf nach einem Gipfeltreffen mit der Bundesregierung laut geworden. Dort solle die stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Flüchtlinge geklärt werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schätzt, dass in diesem Jahr rund 300.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, die Länder rechnen mit viel mehr. Die Bundesländer und vor allem die Kommunen sind für die Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber zuständig. Aufgrund der steigenden Zahlen fühlen sie sich überfordert.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagte den Kommunen mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen eine ausreichende Finanzierung zu. »Es wird kein Haushalt ins Wanken geraten. Das sind wir auch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig«, sagte er am Sonntag.

Seinen Worten zufolge werden den Landkreisen und kreisfreien Städten die Kosten, die im Zusammenhang mit Asylverfahren entstehen, in vollem Umfang ersetzt. Den Bund forderte der Minister auf, den Ländern weitere Gelder für die Umsetzung der Asylpolitik zur Verfügung zu stellen. »Die derzeitige Herausforderung schultern wir nur gemeinsam.«

Der Verfassungsschutz registriert nach Angaben der Zeitung in zunehmenden Maße, dass Rechtsradikale in Deutschland die Sorgen beim Thema Flüchtlinge gezielt ausnutzen. Kampagnen gegen Asylbewerber hätten bereits im Vorjahr »einen Schwerpunkt der rechtsextremistischen Szene« gebildet, berichtete die »Welt am Sonntag« unter Berufung auf das Bundesamt für Verfassungsschutz. Demnach habe sich jede dritte Demonstration dieser Personengruppe gegen bestehende oder geplante Unterkünfte für Asylbewerber gerichtet. Agenturen/nd

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