Antisemitismus durch die Brille der Extremismusdoktrin

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Vor kurzem gab es Krach: Das honorige Bundesinnenministerium (BMI) hatte zum zweiten Mal den sogenannten «Expertenkreis Antisemitismus» berufen. Dieses aus zehn Personen bestehende Gremium hatte Ende 2011 seinen ersten 200 seitigen Bericht abgeliefert und nun geht es mit zum Teil neuen Personal in die nächste Runde. Dabei war vom BMI ganz vergessen worden, auch einen Repräsentanten aus der jüdischen Gemeinde auf die Nominierungsliste zu setzen. Das wurde in der Öffentlichkeit nicht goutiert, Unmut machte sich breit und nun wurde von verschiedenen Gruppen und Institutionen die Gründung eines wohl etwas mehr staatsunabhängig arbeitenden «Netzwerkes zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus» bekannt gegeben.

Dabei wird in dieser Debatte auch moniert, dass seitens der Bundesregierung vom letzten Antisemitismusbericht keinerlei Empfehlungen umgesetzt worden seien. Aus einer autonomen Perspektive ist das zunächst einmal vielleicht nicht als «gut», unbedingt aber doch als «erheblich weniger schlecht» zu begrüßen. Warum?

In dem Bericht war dem Expertenkreis in seinen «Handlungsempfehlungen» als erster Vorschlag eingefallen, das in dem «vom Bundesministerium des Innern herausgegebenen Verfassungsschutzbericht ebenso wie die entsprechenden Berichte der Länder künftig ein Kapitel zum Antisemitismus in linksextremen und islamistischen Gruppen und Zirkeln nach dem Vorbild des jährlichen Berichtsteils zum Rechtsextremismus im Bundesbericht» aufgenommen werden soll.

Kein Zweifel: Vom Prinzip her ist es zunächst einmal ja sehr gut, dass es in diesem Land zwischenzeitlich überhaupt nicht gut ist, unter Antisemitismusverdacht gestellt zu werden, einerseits. Aber die außerinstitutionelle Linke unter diesem Verdacht zu subsummieren, führt dann nach nirgendwo, wenn man die Sache wirklich Ernst nimmt. Aber was ist die «Sache» in dieser Angelegenheit genau: Antisemitismus sans Phrase oder Antisemitismus gepresst durch die Brille der Extremismusdoktrin?

Wenn es um das letztere geht, dann ist dem vergangenen Expertenkreis Antisemitismus aus seinem tiefen Vertrauen in die auch in Sachen NSU-Verwaltung unter Beweis gestellten vielfältigen Instrumentarien der Ämter des Verfassungsschutzes kein Vorwurf zu machen. Denn mit dem besagten Vorschlag hat er lediglich die von ihm konstitutiv eingeschlagene Logik konsequent zu Ende gebracht. Den Rechts- wie Linksextremisten wie Islamisten sind in dem Bericht auch explizit 30 lange Seiten gewidmet. Während es dabei der aus der allerjüngsten Gegenwart hervorsprudelnde Antisemitismus des «Rechtsextremismus» auf gerade mal acht Seiten bringt, findet sich der als eigentümlich subtil gewieft verstandene Antisemitismus der außerinstitutionellen Linken unter Rückgriff auf ihre 40 Jahre lange Geschichte und inklusive eines Einschlusses der Organisation Attac auf 12 Seiten umfassend gewürdigt.

Der so ins Visier genommene Antisemitismus der Extremisten wird mit umfänglichen Tabellen zu dem Aufkommen von antisemitischen Straftaten aus den Jahren von 2001 – 2010 belegt. Dabei stehen den im geschätzten Mittel ca. 1.400 pro Jahr von Nazis verübten antisemitisch motivierten Straftaten in der Regel vier - ausgedrückt als Zahl: 4! - der Linken gegenüber. In der Kategorie der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) notiert der Bericht in der Verteilung von antisemitisch motivierten Gewalttaten für das Jahr 2007: «PMK-rechts» 61, «PMK-links» 0 und «PMK-Ausländer» 3 Fälle.«

Diese Aufstellungen belegen sicher nicht alles, definitiv aber eines: Ein drastisches durch die Nazis verursachtes Problem wird mit einem faktisch bei der Linken nicht vorhandenen zusammengeworfen. Und wie wird das vom honorigen Expertenkreis gewürdigt? Lassen wir selbst zu Wort kommen: »Hinsichtlich der politischen Motivationen lässt sich sowohl beim Straftataufkommen insgesamt wie bei den Gewalttaten ein klarer Schwerpunkt im «rechten» Bereich konstatieren.« Hier gilt allemal der lebensnahe Spott der Physiker: Die Hände auf einer glühenden Herdplatte ruhend, und die Füsse in Eiswasser gestellt, ergibt noch stets ungefähr eine mittlere Körpertemperatur. Kurz: Die vom Expertenkreis in Anschlag gebrachte Interpretation ist gelinde gesagt ein Witz, wenn auch kein schlechter, der allerdings mit Aufklärung und Rationalität nichts, mit den Absurditäten der Politik der Extremismusdoktrin umso mehr zu tun hat.

Und dabei gilt für die Tätigkeit dieses Gremiums die Richtlinienkompetenz von Bundeskanzler Angela Merkel in besonderer Weise. Kein Zufall, dass sie in einer Rede vom Juni 2009 die aus den im Konzentrationslager Buchenwald verübten faschistischen Bestialitäten erwachsenen »Verpflichtungen« für die Gegenwart gerade nicht in die Formel: »Nie wieder Faschismus!« wendete. Stattdessen gab sie unter Hinweis auf »Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie« das Satzmodul: »Wir gehen gegen Terror, Extremismus und Antisemitismus vor« zum Besten.

In eben dieser Trinität wird der Antisemitismus gerade nicht zentral dem Faschismus sondern ganz allgemein dem »Terror« wie »Extremismus« zugeordnet. Autonome dürfen sich von dieser Arbeitsgrundlage des beim Bundesinnenministeriums angesiedelten Expertenkreises allerdings direkt angesprochen fühlen.

Nun finden sich darin ein paar neue Namen, auch die des guten Genossen Klaus Holz.

Er kann allemal als außerordentlich kundiger Antisemitismusforscher gelten. Seine Berufung in dieses Gremium darf er definitiv als Anerkennung verbuchen. Einen Grundstein dafür hat er bestimmt mit seinem Auftritt auf einem Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutzes im Dezember 2005 unter der immer interessanten Fragestellung eines »neuen Antisemitismus« gelegt.

Unvermeidlich ergibt sich aus einem solchen Engagement für eine derartige Institution fast immer eine intellektuelle Blamage. Sie wird aber bei weitem aufgewogen von dem, was man damit dann sozial gewinnt, wenn man sich in diesem Zusammenhang zu den diesbezüglichen spezifischen Arrangements fähig zeigt.

Eigentlich erscheint es kaum vorstellbar, dass Genosse Holz sich jemals dazu herabwürdigen wird, den oben referierten Schwachsinn aus dem ersten Antisemitismusbericht mit seinem guten Namen zu beglaubigen. Anderseits wird sich das BMI zum Zwecke der von dieser Institution notwendig auszuübenden politischen Repression sein handlungswirksam gut eingeöltes Schema der Extremismusdoktrin auch nicht durch wissenschaftlich gut begründete Skrupel aus der Hand schlagen lassen. Zudem ist mit Verfassungsschutzprofessor Armin Pfahl-Traughber aus der Schule des Eckhard Jesse und Uwe Backes ein BMI-Gewährsmann erneut in dieses Gremium berufen worden, der außerordentlich kundig darin ist zu wissen, was hier auch in Zukunft Staatsräson zu sein hat.

Bitter also irgendwann der Moment, wenn Genosse Holz in dem nächsten Antisemitismusbericht auch die außer institutionelle Linke wahrheitswidrig wird vor die Kulisse des Holocausts schieben müssen. Aber die Institutionen sind nun mal mächtiger als die Menschen, wusste schon der junge Karl Marx 1842 in seinen Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion zu vermerken.

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