Ein- und Auswanderung gab es immer
Arnd Kolb über die Notwendigkeit, ein Migrationsmuseum mit zentralem Ort in Deutschland zu schaffen
nd: Herr Kolb, an diesem Montag geben Sie in Köln den »Startschuss« für Deutschlands erstes Migrationsmuseum. Um was geht es dabei?
Kolb: Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Migration prägt unseren Alltag und unsere Geschichte. Sie ist der Normalfall. Aber die Erkenntnis, dass Deutschland schon immer von Ein- und Auswanderung betroffen ist, ist nicht in der institutionalisierten Erinnerungskultur angekommen, wie sie sich in Geschichtsbüchern oder Museen widergespiegelt. Das wollen wir ändern.
Braucht es dafür ein Migrationsmuseum? Es gibt doch schon Auswanderermuseen in Hamburg und Bremerhaven oder das Haus russlanddeutscher Geschichte.
Ein Migrationsmuseum, wie wir es uns vorstellen, gibt es nicht. Es soll ein interaktiver Ort sein, wo alle Aspekte von Migration behandelt werden, nicht nur die Auswanderung oder eine bestimmte Gruppe. Ein Migrationsmuseum muss von einem neuen deutschen Narrativ geprägt sein, von einem gemeinsamen Wir, das niemanden ausgrenzt, angemessene Teilhabe ermöglicht und Vielfalt abbildet - und zwar jenseits einer Dichotomie von »Die« und »Wir«.
Birgt ein Museum nur für Migration nicht die Gefahr, dass es genau solch eine Dichotomie erzeugt: Hier die Migranten, dort die alteingesessenen Museen?
Die Dichotomie lässt sich überwinden, wenn wir die ganze Vielfalt und die Realität neutral zeigen und alle Gruppen einbeziehen. Dabei kann Domid als Vorbild dienen. Der Verein ist als Migrantenselbstorganisation von türkischstämmigen Einwanderern entstanden. Mittlerweile haben wir Vertreter mit und ohne Migrationshintergrund und mit den verschiedensten Hintergründen. Gemeinsam engagieren wir uns wir für ein Migrationsmuseum.
Noch steht nicht einmal der Standort für solch ein Museum fest. Ist es nicht zu früh, von einem »Startschuss« zu sprechen?
Mit der Pressekonferenz am Montag verlassen wir nach 25 Jahren die Initiierungsphase und wollen mit der Umsetzung des Projekts beginnen. Zunächst müssen wir eine breite Öffentlichkeit erreichen sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik informieren und ihre Unterstützung gewinnen, aber auch einfordern.
Was heißt das konkret?
Es geht darum, zentrale Akteure aus den Bundes- und Landesregierungen sowie Vertreter der Wirtschaft und von Stiftungen an einen Tisch zu bekommen, um Gelder zu akquirieren und das Projekt konkret zu planen und umzusetzen.
Warum gehen Sie damit gerade jetzt an die Öffentlichkeit?
Es war ein langer Prozess. Domid hat nach 25 Jahren, in denen es viele Widerstände gegen unsere Arbeit gab, nun die nötige Akzeptanz und einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Außerdem ist das politische Klima heute ein anderes, seit zehn Jahren begreift sich Deutschland als Einwanderungsland.
Und wo steht die deutsche Museumslandschaft in diesem Prozess?
Die bundesweit erste Ausstellung zum Thema Einwanderung wurde 1998 gezeigt: »Fremde Heimat - Yaban, Sılan olur«. Bei dieser Ausstellung, die von Domid initiiert wurde, ging es um die sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei. Seither gab es etliche weitere Ausstellungen und eine gewisse Bereitschaft zur Öffnung. Aber noch hat niemand den großen Wurf gewagt, Migration im Sinne des neuen deutschen Narrativs darzustellen ...
... aber gerade manche Stadtmuseen machen Migration als Querschnittsthema doch zum Normalfall. Lösen sie damit nicht die Forderung nach einem zentralen Migrationsmuseum dezentral ein?
Es gibt hehre Ansätze und eine Bereitschaft, dem Thema Migration mehr Platz zu bieten und Teilhabe zu ermöglichen. Aber das sind eher Inseln und nicht die breite Masse, die bewegt sich noch nicht wirklich. Außerdem braucht es einen zentralen Ort, der über genügend Raum verfügt, um das Thema in all seinen Facetten darzustellen. Das kann ein einzelnes Haus, das noch andere Aufgaben hat, nicht leisten.
Was soll denn im Migrationsmuseum zu sehen sein?
Domid hat über 70 000 Objekte zur Migrationsgeschichte gesammelt: Schriftstücke, Fotos, Filme, Tondokumente und vieles mehr. Ein Teil davon ist in unserem Kölner Archiv zu sehen, doch das platzt aus allen Nähten. Um ein Beispiel zu geben: Wir haben eine venezianische Gondel, sie gehörte einem Portugiesen, der als sogenannter Gastarbeiter in den 60ern nach Deutschland kam und sah, dass diese blinkenden, kitschigen Gondeln in jedem zweiten Wohnzimmer standen. Also kaufte er sich so eine, um dazuzugehören. Doch leider war das nicht so einfach. Solche Geschichten, die die Objekte erst zum Zeugen historischer Phänomene machen, wollen wir erzählen. Das kommt in alteingesessenen Museen leider viel zu kurz.
Inwiefern?
Im Haus der Geschichte in Bonn etwa wird die bundesrepublikanische Geschichte auf mehreren tausend Quadratmetern dargestellt. Migrationsgeschichte findet man konzentriert auf sechs Quadratmetern. Da steht dann das Moped, das der millionste Gastarbeiter Armando Rodrigues de Sá bei seiner Ankunft in Köln 1964 geschenkt bekam. Dieses Objekt bleibt ohne große Erklärungen, die bittere Geschichte dahinter wird nicht erzählt: Als Rodrigues de Sá erkrankte, hat man ihm gesagt, er solle nach Hause zurückgehen. Ohne zu wissen, dass er hier Ansprüche auf Krankenversorgung gehabt hätte, ist er nach Portugal zurückgekehrt. Dort wurde bei ihm Krebs festgestellt. Am Ende hatte er nicht genügend Geld für die Behandlung und ist gestorben.
Migration ist eine transnationale Bewegung. Kann dies in einer nationalen Institution wie dem Museum überhaupt adäquat dargestellt werden?
Wir wollen kein deutsches Migrationsmuseum, sondern ein Migrationsmuseum in Deutschland. Natürlich werden wir über den Tellerrand blicken und transnationale Bewegungen darstellen. Beispielsweise Fragen zu den Folgen der Einwanderung nach Deutschland auf die jeweiligen Herkunftsländer. Migration darf nicht durch eine nationale Brille gesehen werden, dann kann das gelingen.
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