Brückensitzpack

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Jahren haben viele junge unbedarfte Menschen aus Gründen, die nur der Wind kennt, es sich zur lieben Gewohnheit werden lassen, sich in Berlin bei einigermaßen erträglichem Wetter, d.h. von April bis ca. Anfang Oktober, täglich auf der Kreuzberger Admiralbrücke einzufinden, um dort stur von der Mittagszeit an bis spät in die Nacht hinein ihren Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: sinnlos herumzusitzen, große Getränkemengen in sich hineinzuschütten, vom Radio totgenudelte Lieder mit ramponierten Akustikgitarren nachzuspielen und dummes Zeug zu reden.

Das war und ist im Grunde lobenswert und eine ganz hervorragende Sache. Denn so wusste man in der Vergangenheit stets, wo genau und wann etwa die Meute sich versammelt, und konnte diese Brücke inklusive der Menschenansammlung - die vom gröhlenden Berliner Eigengewächs (»Ick zahl’ Steuern! Was zahlst du?«) über den gelangweilten Nachwuchshippie bis zum brummdummen Ballermann-Berlin-Touristen (»Hey, let’s find some dumb chicks to fuck«) reichte und auch sonst überwiegend unangenehme Figuren enthielt - großräumig umgehen.

Seit dem vergangenen Jahr jedoch, genauer gesagt: seit die erbarmungslos auch das bisher größtenteils angenehm bleigraue und trostlose Neukölln erfassende Gentrifizierung nicht mehr zu übersehen ist und mit Siebenmeilenstiefeln voranschreitet (»Green Smoothies to go«), erobert das Geschmeiß Brücke um Brücke. Über den Berliner Landwehrkanal, wo dieser sich durch Kreuzberg und Neukölln zieht, hat man viele Brücken gebaut, und Woche um Woche, so scheint’s, wird von der schamlos sich vermehrenden Feiermeute eine neue Brücke besetzt. Dort wird dann bis zur Besinnungslosigkeit der Sonnenuntergang angeguckt, als hätte man noch nie zuvor einen gesehen, es wird geschnattert, gequatscht und gequasselt bis zur totalen Mundtrockenheit, es werden tonnenweise nichtssagende kindische Textnachrichten in die unschuldige Welt hinausverschickt, als wolle man das ganze Universum totspammen, und es werden ununterbrochen Bierflaschen geöffnet und ausgezutzelt, als gäb’s kein Morgen. Das ist doch nicht normal!

In der letzten Woche etwa, als die ersten Sonnenstrahlen des Jahres auch zaghaft das lichtscheue Südneukölln trafen, hat es nun den Elsensteg erwischt, eine kleine possierliche Brücke, von der nicht bekannt ist, dass sie jemals jemandem etwas zuleide getan hätte. Das Perfide ist: Die Übernahme, Infiltration und Kaperung der Brücke geht sozusagen stoßweise vor sich. Anfangs, um die Mittagszeit, sitzt da - gewissermaßen als Vorhut - nur eine Hand voll geistverlassenes Studentenpack, um Däumchen zu drehen und einander beim Entstehen der an den Lippen hängenden Speichelfäden zuzusehen. Am Nachmittag trifft dann mehr und mehr Verstärkung aus den umliegenden Cafés ein, und am Abend ist die winzige kleine Brücke schließlich komplett verstopft mit Sackgesichtern und Gelichter. Das muss aufhören! Jetzt!

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