Gauck gedenkt armenischen Opfern
Türkei weigert sich weiterhin Massaker als Völkermord anzuerkennen
Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck nimmt am heutigen Donnerstag an einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom zum Gedenken an die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren teil. Die christlichen Kirchen bezeichnen die Gräueltaten des damaligen Osmanischen Reiches ausdrücklich als »Völkermord«. Es wird erwartet, dass auch der Bundespräsident diese Bewertung übernimmt. Die Türkei lehnt die Einstufung als Völkermord bislang strikt ab. Am Freitag befasst sich auch der Bundestag mit dem Thema.
Armeniens Präsident Sersch Sarkissjan forderte unterdessen erneut von der Türkei die Anerkennung eines Völkermords durch osmanische Truppen. Er hoffe, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag, dem offiziellen Gedenktag, »eine stärkere Botschaft« aussende, damit sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern normalisieren könnten, so Sarkisskan am Donnerstag im türkischen Fernsehsender CNN-Türk. Eine Aussöhnung sei »durch eine Anerkennung des Völkermordes durch die Türkei« möglich.
Zuvor hatte bereits das österreichische Parlament in einer gemeinsamen Stellungnahme aller Fraktionen die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord bezeichnet. Die Türkische Regierung, die als Rechtsnachfolger des osmanischen Reiches gilt, rief daraufhin ihren Botschafter aus Wien zu Beratungen zurück. Aus dem österreichischen Außenministerium hieß es dazu: »Es ist eine souveräne Entscheidung aus der Türkei, ihren Botschafter einzuberufen«. Den Protest der türkischen Regierung gegen die Parlamentserklärung zum »Völkermord«, wies Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hingegen zurück. »Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren«, sagte er am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur APA.
Armenien gedenkt am Freitag der Massaker an bis zu 1,5 Millionen Landsleuten durch osmanische Truppen von 1915 bis 1917. Zu einer Zeremonie am Mahnmal in der Hauptstadt Eriwan werden hunderttausende Menschen erwartet.
Hintergrund:
Im Osmanischen Reich waren nicht nur Armenier, sondern auch andere Christen Verfolgung und Massakern ausgesetzt. So widmen die katholische und die evangelische Kirche ihren Gedenkgottesdienst im Berliner Dom auch dem »Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen«. Der Orthodoxie-Referent der Evangelischen Kirche in Deutschland, Martin Illert, spricht von einem »Vernichtungswillen« und einem »Anschlag auf die Koexistenz«.
Das Jahr 1915, in dem die systematische Vertreibung und Vernichtung der Armenier begann, bezeichnen die Aramäer - Christen verschiedener syrischer Kirchen - für sich als das »Jahr des Schwertes«. Die Pontos-Griechen - einst griechischstämmige Christen im Osmanischen Reich (benannt nach einer Region an der Schwarzmeerküste) - blicken Illert zufolge in dieser Zeit auf den »pontischen Genozid«.
Ebenso wie bei den Armeniern gibt es unterschiedliche Schätzungen zu Opferzahlen. Experten wie Illert oder der Göttinger Universitätstheologe Martin Tamcke weisen darauf hin, dass es für das Osmanische Reich keine verlässliche Bevölkerungsstatistik gibt. Illert zitiert Schätzungen, wonach es aus den syrischen Kirchen in den Jahren 1915 bis 1918 bis zu 275 000 Opfer gab, bei den Griechen zwischen 200 000 und 1 Million von 1915 bis 1922. Der Weltrat der Aramäer gibt für das Jahr 1915 rund 2,5 Millionen getötete Armenier, Pontos-Griechen und Aramäer an. Die Armenier schätzen, dass im Ersten Weltkrieg 1,5 Millionen Menschen ihrer Volksgruppe im Osmanischen Reich ums Leben kamen. dpa/AFP
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