Vogelfrei

Emran Feroz über Drohnenopfer und die deutsche Verantwortung am tausendfachen Sterben

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie vor Kurzem bekannt wurde, tötete eine US-Drohne im Januar dieses Jahres zwei westliche Zivilisten in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion. Die beiden Entwicklungshelfer, der 39-jährige Italiener Giovanni Lo Porto sowie der 73-jährige US-Amerikaner Warren Weinstein, waren Berichten zufolge in die Gefangenschaft von Extremisten geraten. Anstatt sie zu befreien, wurden sie gemeinsam mit ihren Peinigern ermordet.

Die Nachricht kam überraschend. Am Donnerstag wurde sie von US-Präsident Barack Obama verkündet, der wöchentlich die sogenannte »Kill List« unterzeichnet und die Drohnen-Morde in Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia damit persönlich absegnet. Obama bedauerte den Tod der beiden Zivilisten und übernahm als Präsident und Befehlshaber der US-Streitkräfte die volle Verantwortung.

Bisher wurden über 3000 Menschen von Drohnen getötet. Lediglich zwölf Prozent dieser Opfer waren militante Kämpfer, nur vier Prozent von ihnen konnte man auf Al-Qaida zurückführen. Für Afghanistan - laut »The Bureau of Investigative Journalism« (TBIJ), einer in London ansässigen Journalistenorganisation, das am meisten von Drohnen bombardierten Land der Welt - liegen keine Zahlen zu Drohnenopfern vor. Die meisten Daten werden ohnehin von der NATO zurückgehalten.

Im Gegensatz zu den zahlreichen afghanischen oder jemenitischen Opfern blieben Weinstein und Lo Porto nicht namenlos. Sowohl US-Regierung als auch Medien gaben ihnen ein Gesicht und eine Geschichte. Obama zeigte sich betroffen und mitfühlend. »Als Vater und Ehemann kann ich sehr gut nachvollziehen, wie sich die Familien der Opfer heute fühlen«, meinte er. Man könnte meinen, dass Hinterbliebene von Drohnen-Opfern am Hindukusch oder in der Wüste Jemens das nicht können. Man könnte meinen, dass sie keine Gefühle haben, ja, gar keine Menschen sind.

Weinstein und Lo Porto waren jedoch nicht die einzigen westlichen Opfer. Das TBIJ ist zu dem Schluss gekommen, dass bis jetzt mindestens 38 Menschen aus westlichen Staaten von Drohnen getötet wurden. Unter ihnen befindet sich der 16-jährige Abdel Rahman al Awlaki, der im Oktober 2011 in Jemen ermordet wurde. Al Awlaki war US-Staatsbürger, geboren und aufgewachsen in den Vereinigten Staaten. Sein Vater Anwar galt als radikaler Prediger und wurde zwei Wochen vor Abdel Rahman ebenfalls per Knopfdruck getötet. Warum seinem Sohn dasselbe Schicksal zuteil wurde, ist nicht klar. Barack Obama hat bis heute kein Wort darüber verloren, geschweige denn sich dafür entschuldigt.

Unter den westlichen Drohnenopfern befinden sich auch sieben Deutsche. Beispielsweise Patrick K., dessen Tod auch in den deutschen Medien Erwähnung fand. Nachdem K. 2013 in Waziristan getötet wurde, hieß es seitens der Bundesregierung lediglich, dass jeder, der in diese Region geht und getötet wird, »selbst schuld« sei. K., der einige Jahre vor seinem Tod zum Islam konvertiert war, war eng mit der sogenannten Salafisten-Szene verknüpft. Für terroristische Aktivitäten oder andere Straftaten gab es jedoch keinerlei Beweise. Er, ein deutscher Staatsbürger, wurde außergerichtlich per Knopfdruck hingerichtet, doch der Bundesregierung war es schlichtweg egal.

Warum man das so gehandhabt hat, wurde vergangene Woche deutlich. Recherchen des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« sowie der Investigativ-Plattform »The Intercept« haben bestätigt, dass der gesamte Drohnenkrieg der USA ohne ihre Basis in Ramstein nicht möglich wäre. Damit ist Deutschland Mittäter in tausendfachem Mord – und missachtet das Grundgesetz, indem es auch vor den eigenen Staatsbürgern nicht Halt macht. Kurz gesagt: Jeder ist vogelfrei.

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