Athener Presse: »Alleine gegen alle in der Eurogruppe«

Parlament billigt Finanzreserven-Dekret / Öffentliche Einrichtungen sollen Geld an Zentralbank überweisen / Varoufakis: In Verhandlungen mit Gläubigern wird zu oft aneinander vorbeigeredet

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 16 Uhr: Die Eurogruppe lotet angeblich kein Szenario für einen Austritt Athens aus der Währungsunion aus. Mehrere Finanzminister wiesen im lettischen Riga Spekulationen über einen möglichen »Plan B« für einen Zahlungsausfall und eine Aufgabe des Euro in Griechenland zurück. Österreichs Ressortchef Hans Jörg Schelling sagte: »Da ist überhaupt nichts dran. Der Plan B wurde nicht diskutiert.« Ein Austrittszenario wurde laut Verhandlungskreisen von einem kleineren Land am Freitag in der Euro-Runde ins Spiel gebracht. Die »Financial Times« hatte zuvor berichtet, Sloweniens Ressortchef Mramor Dusan habe in der Eurogruppe vorschlagen, sich mit einem »Plan B« auf einen Zahlungsausfall Griechenlands vorzubereiten, sollten die Verhandlungen nicht schneller vorankommen. Das habe der griechische Ressortchef Yanis Varoufakis empört zurückgewiesen. Dusan wollte später von einem Ausscheiden Griecehnlands aus der Eurozone nicht mehr direkt sprechen: »Plan B kann alles sein.«

Derweil heizt auch die Polit-Illustrierte »Spiegel« die Spekulationen über einen Grexit weiter an. Das Magazin berichtet über ein internes Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, in dem Griechenland bei einem Grexit schwere wirtschaftliche Verwerfungen vorausgesagt werden. So sei etwa mit einer Hyperinflation zu rechnen. Für die restliche Eurozone und die Weltwirtschaft sei ein Ausstieg Griechenlands auf dem Euro laut dem Papier »beherrschbar«.

Die SYRIZA-geführte Regierung hat immer wieder bekräftigt, im Euro bleiben zu wollen. Ein Ausscheiden des Landes aus der Gemeinschaftswährung wird von vielen Experten zudem als praktisch fast unmöglich bezeichnet - es gebe dazu gar keine Regelungen.

Update 13.15 Uhr: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Spekulationen über einen »Plan B« für eine Zahlungsunfähigkeit oder einen Euro-Austritt Griechenlands nicht anheizen. »Die Frage einem verantwortlichen Politiker zu stellen, bringt ein unlösbares Dilemma mit sich«, sagte Schäuble am Samstag in Riga nach einem Treffen der EU-Finanzminister. »Die Lage in Griechenland ist, wie sie ist.« Natürlich werde alles getan, um eine Zahlungsunfähigkeit Athens zu vermeiden, sagte Schäuble: »Aber die Frage, ob alles, was wir tun können, die Wirkung hat, die wir alle wünschen, ist damit nicht beantwortet.« Dies liege in der Verantwortung Griechenlands. Kapitalverkehrskontrollen etwa könnten nur durch die jeweilige Regierung eingeführt werden, sagte Schäuble auch mit Blick auf den anhaltenden Geldabfluss aus Griechenland. Zypern habe sie in der Krise eingeführt und inzwischen wieder voll abgeschafft. »Natürlich reicht die Phantasie aus, sich vorzustellen, was alles Mögliche passiert«, sagte Schäuble weiter. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sagte: »Es ist klar: die Zeit wird knapp«. Die Lösung könne nicht von den Notenbanken kommen. Diese hätten limitierte Aufgaben und ein klar begrenztes Mandat.

Update 11.30 Uhr: Fast die gesamte griechische Presse beschäftigt sich am Samstag mit dem abermals gescheiterten Versuch, Fortschritte im Schuldenstreit mit der Eurogruppe zu finden. Das linke Blatt »Efimerida ton Syntakton« schreibt, das Land werde sich weiterhin bis zum 11. Mai weiter so in der Dunkelheit bewegen. »In die Ecke gedrängt«, titelt die Zeitung. Die Zeitung »Agora« berichtet, die EU-Kommission bereite bereits Pläne über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone vor. Die Wirtschaftszeitung »Imerisia« berichtet von Gedanken und Ideen unter den Geldgebern über einen »Sudden Death« (Plötzlicher Tod) nach dem Muster der inzwischen wieder abgeschafften Fußballregel, nach der ein Tor in der Verlängerung das Spiel sofort beendet. »Der schwebende Schritt Griechenlands«, titelt das Boulevardblatt Ethnos. Man schwanke zwischen einem Bruch und einem Abkommen in letzter Minute. Das konservative Traditionsblatt »Kathimerini« titelt: »Alleine gegen alle in der Eurogruppe«. Das Blatt hebt hervor, dass Finanzminister Yanis Varoufakis von allen Kollegen in der Eurogruppe scharf und in einigen Fälle auch beschimpfend kritisiert worden sei.

Athen: Parlament billigt Finanzreserven-Dekret

Berlin. Das griechische Parlament hat ein Dekret gebilligt, das öffentliche Einrichtungen und Behörden zur Überweisung ihrer Finanzreserven an die Zentralbank verpflichtet. Das umstrittene Dekret wurde am Freitagabend gegen heftige Kritik der Opposition mit den Stimmen der Regierungsmehrheit angenommen. Mit der Maßnahme hofft die Regierung, dringend benötigte Geldmittel für die Zahlung von drei Milliarden Euro für die kommenden zwei Wochen zu generieren, wie es in dem Dekret heißt.

Die auf einem Sonderkonto deponierten Kredite mit einem Zinssatz von 2,5 Prozent haben in der Regel eine sehr kurze Laufzeit und dienen dazu, Haushaltsengpässe zu vermeiden, solange sich Athen in Verhandlungen mit den internationalen Kreditgebern von IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission befindet.

In der lebhaften Parlamentsdebatte warfen vor allem rechte und sozialdemokratische Abgeordnete der linksgeführten Regierung vor, das Dekret sei »verfassungsfeindlich«. Zuvor hatten kommunale und regionale Vertreter das Dekret bereits scharf kritisiert. Der Präsident des Verbandes der Regionen, Kostas Agorastos, warnte vor einer »Finanzpanik«, die laufende Infrastrukturprojekte wie Straßenbau und Investitionen in Schulen und Krankenhäuser auf regionaler Ebene bedrohe. Der Präsident des Bundes der Bürgermeister, Georgios Patoulis, bezeichnete die Forderungen aus Athen als »ungerecht und nicht hinnehmbar«.

Das Dekret betrifft rund 1400 öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Universitäten sowie regionale und kommunale Behörden. Der Geldtransfer dürfte sich nach Regierungsschätzungen auf 1,5 Milliarden Euro belaufen. Die konservative Zeitung »Kathimerini« berichtete dagegen am Freitag, es handele sich nur um 400 Millionen Euro.

Varoufakis wird in der Eurogruppe beschimpft
Tsipras zu Merkel: »Tun Sie Ihren Teil« / Griechischer Premier traf sich mit Bundeskanzlerin / Ökonom Galbraith nimmt SYRIZA in Schutz: Uneinigkeit der Gläubiger bremst Gespräche / Varoufakis: Wir gehen Weg in die Austeritätsfalle nicht noch einmal - Der Newsblog vom Freitag zum Nachlesen

Zudem wurde im Parlament der Vorwurf laut, die SYRIZA-geführte Regierunglasse die Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern schleifen. Dies behaupten auch die Gläubiger Griechenlands.

Ursprünglich sollten die Gespräche Ende April abgeschlossen sein. Ohne eine Verständigung werden rund 7,2 Milliarden Euro der zurzeit aus politischen Gründen blockierten Gelder nicht nach Griechenland fließen. Athen hat bereits eine ausführliche Liste mit Vorschlägen aufgestellt. Doch den Gläubigern gehen die Reformen nicht weit genug, beziehungsweise wollen sie eine andere politische Grundrichtung.

Die Euro-Finanzminister mahnten am Freitag Griechenland abermals zur Eile. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte am Freitag nach dem Ministertreffen in Riga, Griechenland habe »große, große Probleme« zu lösen. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici erklärte, um Griechenland in der Euro-Zone zu halten, müsse das Tempo bei den Verhandlungen erhöht werden.

»Wir stimmen alle überein, dass wir eine Beschleunigung brauchen«, sagte der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. In seinem Blog hatte er zuvor geschrieben, die Differenzen könnten »überbrückt werden«. Vor griechischen Journalisten räumte er ein, dass die Diskussionen in Riga schwierig waren. Zu den Vorwürfen seiner Ministerkollegen, keine konkreten Vorschläge vorgelegt zu haben, sagte Varoufakis, bei den Verhandlungen werde häufig aneinander vorbeigeredet.

Unterdessen kündigte die seit Ende Januar amtierende Regierung in Athen ihre erste erfolgreich abgeschlossene Privatisierung an. Wie der Chef der griechischen Privatisierungsbehörde Taiped, Sterios Pitsiorlas, mitteilte, wurde die Lizenz für Pferdewetten des staatlichen Unternehmens Odies für 40,5 Millionen Euro und die Dauer von 20 Jahren an das tschechisch-griechische Glücksspielunternehmen Opap veräußert.

Varoufakis zufolge sollen die Privatisierungen so erfolgen, dass der Staat zumindest über eine Minderheitsbeteiligung verfügt. Agenturen/nd

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