Enttäuschte Sehnsucht
Sieben Jahre nach ihrem ersten Manifest liefert das Unsichtbare Komitee einen Wasserstand der Krisenproteste
»Die Aufstände sind also gekommen.« So beginnt der neue Text des Unsichtbaren Komitees »An unsere Freunde«. 2007 hatten sie mit ihrer ersten Schrift die weltweiten Krisenproteste quasi vorhergesagt, nun geben sie einen Überblick über die sozialen Unruhen der folgenden Jahre - von den Athener Riots im Dezember 2008 über die Occupy-Aktionen im kalifornischen Oakland 2011, die Straßenkämpfe in Istanbul und die schwarzen Blöcke in São Paulo bis zu den militanten Auseinandersetzungen im italienischen Susatal gegen den Bau der TAV-Hochgeschwindigkeitsstrecke.
Mit ihrem Manifest »Der kommende Aufstand« hatte das anonyme Autorenkollektiv im hiesigen bürgerlichen Feuilleton einen regelrechten Hype ausgelöst. Die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« erkannte darin das möglicherweise »wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit«, die »Süddeutsche Zeitung« verbeugte sich vor dem »glänzenden Stil« der Autoren und etikettierte ihr Buch als eine »Ästhetik des Widerstands für das neue Jahrtausend«.
Die linke Szene stand dem Manifest eher skeptisch gegenüber, veranstaltete aber Podiumsdiskussionen, wo es dann etwa hieß, die Begeisterung sei doch eher Teil des kapitalistischen Medienspektakels. Überrascht war man dennoch, dass die sonst jede linksradikale Regung mit dem Extremismusbegriff abstrafende Journaille plötzlich das Randale-Theorie-Destillat einer anarchistischen Gruppe aus Paris goutierte. Als »Text der Wende« bezeichnete es dann auch der auf dem Podium sitzende Philosoph Boris Buden, wolle das Buch doch in der Glaubwürdigkeitskrise des kapitalistischen Systems zur Handlung motivieren.
In »An unsere Freunde« werden die Proteste der letzten Jahre von Griechenland bis Chile als »eine einzige historische Abfolge« bezeichnet. Eine wirkliche Definition von Aufstand bleiben die Autoren schuldig. Stattdessen werden sehr unterschiedliche Ereignisse zum globalen Aufstand zusammengerührt, der allerdings nirgendwohin führt. »Die Revolution scheint überall im Stadium des Aufruhrs zu ersticken«, so die pessimistische Einschätzung. Die soziale und politische Dimension, der Gehalt oder die Wirkung der zum Teil militanten Proteste werden kaum hinterfragt. Auch der Umstand, dass viele militante Auseinandersetzungen der letzten Jahre von der Polizei durch überzogene Einsätze provoziert wurden, wird nicht Rechnung gestellt.
Wobei es den linksradikalen Autoren nicht nur um Militanz geht, sondern auch um »all diese Verbindungen, all diese Gespräche, all diese Freundschaften«, die »zu einer historischen Partei, die weltweit am Werk ist - ›unsere Partei‹, wie Marx sagte« führten. Der Begriff »Partei« sollte bei den anarchistisch geprägten Autoren eher als informelle Vereinigung verstanden werden. Gleichzeitig ist ihnen klar, dass es verbindlichere Strukturen geben muss: »Nun gilt es, uns zu organisieren, weltweit.« Wobei sie zugeben, nicht zu wissen, wie das gehen soll: »Wie eine Kraft organisieren, die keine Organisation ist?«
Damit sind die vom bürgerlichen Feuilleton so geliebten französischen Linksradikalen da angelangt, wo auch die linke Szene hierzulande hängt: bei der Organisierungsfrage. Mit der Auflösung und Neuformierung zentraler Gruppen stellt sich die radikale Linke in Deutschland bundesweit derzeit neu auf. Explizite Aussagen zu möglichen Organisierungsformen trifft das Komitee allerdings nicht. Recht allgemein wird auf die »Kommune« verwiesen, die einen »Bruch mit der globalen Weltordnung« bewirken soll. Historisches Vorbild sind die Pariser Kommunarden von 1871, aber auch die selbst organisierte »Republik Maddalana« der italienischen Susatal-Bewegung. Die Kommune erfreut sich in der europäischen Linken derzeit einer gewissen Beliebtheit. Vergangenen Sommer hatten italienische und deutsche Gruppierungen mit der »Commune of Europe« zu internationalen Protesten gegen den geplanten EU-Gipfel in Turin aufgerufen. Auch die Blockupy-Aktionen am 18. März zitierten den großen historischen Vorläufer.
Daneben polemisiert das Unsichtbare Komitee gegen Vollversammlungen, wie sie die Platzbesetzer von Occupy bis zu den spanischen Empörten zelebrierten und die sie nur als Abbild der von ihnen abgelehnten parlamentarischen Demokratie wahrnehmen. Mit der »Bewegung der Plätze« sei der »Fetischismus der Vollversammlung« in der Versenkung verschwunden. Gut finden sie dagegen die kollektiven Praktiken, die auf den Plätzen entwickelt wurden - vom Kochen für 3000 Personen bis zum militanten Widerstand.
Nur genau hier wird der Text problematisch, denn er verweist vulgär-martialisch auf »die Kunst, Barrikaden zu halten und in industriellem Maßstab Molotow-Cocktails herzustellen« - und zwar ausgerechnet auf dem Maidan.
Nun sollte man den französischen Linksradikalen nicht gleich Sympathie für jene neofaschistischen Gruppierungen aus Kiew unterstellen, die es vor allem waren, die auf dem Maidan in besagtem »industriellem Maßstab Molotow-Cocktails« herstellten. Aber hier wird deutlich, wie das Unsichtbare Komitee jede militante Regung der letzten Jahre ihrem Diskurs unterordnet. »Man muss es sich anschauen gehen. Man muss die Begegnung suchen. Und in der Komplexität der Bewegungen die gemeinsamen Freunde, die möglichen Bündnisse, die nötigen Konflikte erkennen.« Ob man das als Kokettieren mit einer Querfront-Idee verstehen soll, bleibt dahingestellt. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern die Texte des Unsichtbaren Komitees als politische Manifeste ernst genommen werden können oder lediglich Ausdruck eines Bauchgefühls junger Menschen in den Großstädten sind und eine diffuse Sehnsucht nach einem Bruch mit der bestehenden Ordnung ausdrücken. Dann gehören sie eher in den Bereich des Pop.
Aufstände gegen die bestehende Ordnung gibt es in der heutigen Zeit in der Tat immer wieder. Auch »kommunizieren diese Aufstände miteinander«, wie das Unsichtbare Komitee beobachtet, weil sie fester Bestandteil unseres politischen und sozialen Horizonts geworden sind. Aber daraus eine herrschaftskritische Praxis für den Alltag jenseits der Riots abzuleiten, sich global zu vernetzen oder gar den Kapitalismus ernsthaft herauszufordern, ist noch einmal etwas ganz anders.
Das Unsichtbare Komitee: An unsere Freunde, Nautilus-Verlag, 192 S., 16 €.
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