Berichte: SYRIZA hält an Immobilien-Sondersteuer fest
Neue Verhandlungen in Brüssel ab Donnerstag / Schwan kritisiert Autoritarismus von Schäuble / Parlament in Athen beschließt Neuanfang für Sender ERT / Varoufakis von linken Regierungskritikern attackiert
Update 16.30 Uhr: SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer rechnet mit einer baldigen Einigung zwischen Athen und den Gläubigern. »Ich glaube, man wird bis zum 11. Mai eine Lösung finden«, sagte Schäfer am Mittwoch in Berlin. »Es wird eine Vereinbarung geben, mit der Griechenland seinen Verpflichtungen nachkommt«, sagte er. Schäfer war zuvor von einer dreitägigen Reise nach Athen zurückgekehrt, wo er mit Regierungs- und Parteivertretern gesprochen hatte. »Griechenland muss die harten Auflagen der Gläubiger annehmen, und das wissen die Verantwortlichen dort auch«, sagte Schäfer. Zum anderen »will auch niemand in Europa, dass es zu einem Unfall - zum Grexit - kommt.« Denn dann werde das Vertrauen auch außerhalb Europas in die EU zerstört. Um das zuletzt arg strapazierte bilaterale Verhältnis zwischen Berlin und Athen wieder zu verbessern, schlug Schäfer zudem einen deutsch-griechischen Sondergipfel vor. Dieser solle sich insbesondere um Themen wie das deutsch-griechische Jugendwerk, kommunale Zusammenarbeit oder Kooperationen bei der Berufsausbildung kümmern. Es gehe darum, Griechenland systematische Hilfe anzubieten, nicht aber darum, das Land »instandzubesetzen«, betonte der SPD-Politiker. An dem Gipfel sollten »möglichst viele Minister aus beiden Kabinetten teilnehmen«.
Update 14.30 Uhr: Die Gläubiger Griechenlands und Vertreter der SYRIZA-geführten Regierung in Athen beraten von Donnerstag an wieder in Brüssel. Die sogenannte Brüssel-Gruppe, die regelmäßig in der EU-Hauptstadt zusammenkommt, werde sich mindestens bis zum Freitagabend treffen, sagte eine Diplomatin am Mittwoch: »Es gibt einen Willen von allen Seiten, jetzt voranzukommen.« Die Gruppe besteht aus Vertretern der Athener Regierung sowie Experten von Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF). Am Mittwoch sprachen die Finanz-Staatssekretäre der 19 Euroländer bereits über die Lage. Das vom griechischen Premier Alexis Tsipras angekündigte Datum, wonach ein Kompromiss mit den Geldgebern bis zum 9. Mai möglich sei, bestätigte die EU-Diplomatin nicht: »Die einzige echte Frist ist Ende Juni«, sagte sie. Dann endet das laufende Kreditprogramm für Griechenland, aus dem es seit August 2014 keine Auszahlungen mehr gegeben hat. Zuletzt blockierten die Gläubiger dies aus politischen Gründen – ihnen passen die von Athen vorgeschlagenen Reformmaßnahmen nicht. Wie es aus Kreisen des Finanzministeriums in Athen am Mittwoch hieß, will Griechenland den internationalen Kreditgebern neue Maßnahmen zur Konsolidierung seiner Finanzen präsentieren. Man sei »optimistisch«, dass es bald zu einer Einigung kommen werde. Die griechische Presse berichtete, dass sich die Regierung endgültig von einem ihrer wichtigsten Wahlversprechen zu »verabschieden« scheine, um eine Einigung mit den Geldgebern zu erzielen. So soll eine Immobilien-Sondersteuer, die rund 2,6 Milliarden Euro jährlich einbringt, auch in diesem Jahr gezahlt werden. Tsipras hatte versprochen, diese Steuer so bald wie möglich abzuschaffen. Das nächste reguläre Treffen der Euro-Finanzminister steht am 11. Mai an.
Update 9.15 Uhr: Die Politikwissenschaftlerin und Sozialdemokratin Gesine Schwan hat einen Kurswechsel in der Griechenland-Politik Berlins gefordert. Schwan plädierte in einem Beitrag für das Magazin »Cicero« dafür, »dass die deutsche Regierung einen Weg findet, auf dem sie ohne Gesichtsverlust eine faktische Abkehr von der bisherigen falschen Austeritätspolitik, die Griechenland wie den anderen Südländern geschadet hat, praktiziert. Dem Pragmatismus der Bundeskanzlerin ist das zuzutrauen. Sie könnte auf selbstkritische Überlegungen der Ökonomen des Weltwährungsfonds zurückgreifen«, so Schwan. Für eine Einigung böte sich ihr zufolge ein »10-Punkte-Programm«, das unter anderem ein Moratorium für die Rückzahlung von Schulden in öffentlicher Hand enthalten soll. Auch solle die EU Griechenland dabei unterstützen, die Erwerbslosigkeit zu überwinden. »Sag‘ mir, wie Du mit Griechenland umgehst, und ich sage Dir, was Du von Demokratie in Europa hältst«, schreibt Schwan weiter – und kritisiert Bundesfinanzminister Schäuble. »Je älter der verdiente Politiker Schäuble wurde, desto mehr hat er sich der klassischen deutschen Tradition des Autoritarismus angenähert: Anthropologischer Pessimismus, Misstrauen, Kontrolle, juristische Erzwingung anstelle von Politik.«
Update 9 Uhr: Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis ist offenbar von linken Kritikern der Regierungspolitik der SYRIZA-geführten Koalition attackiert worden. Wie es in Medienberichten heißt, seien er und seine Frau in einem Restaurant in Athen von Anarchisten zum Verlassen aufgefordert und mit Gegenstände beworfen worden. Die dpa schreibt, der Politiker sei »beschimpft und angegriffen worden«. Die Gruppe habe erklärt, er habe in ihrem Stadtteil Exarchia nichts zu suchen. Das Viertel gilt in der griechischen Hauptstadt als Hochburg der Autonomen Bewegung. Zwei Vermummte wollten ihn schlagen, so Varoufakis. Dies habe seine Frau verhinderte, »indem sie mich beschützend umarmte«. Schließlich habe sich die Lage beruhigt, Varoufakis habe vor dem Restaurant das Gespräch mit der Gruppe gesucht. Varoufakis sagte später selbst, es habe sich nicht um einen organisierten Zwischenfall gehandelt.
Parlament beschließt Neuanfang für Sender ERT
Berlin. Das griechische Parlament hat die Wiederöffnung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ERT beschlossen, der vor knapp zwei Jahren aufgrund von Kürzungsvorgaben der Gläubiger Griechenlands geschlossen worden war. Das Gesetz wurde in der Nacht zum Mittwoch in Athen vor allem mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet. Die sozialistische Pasok-Partei und weitere Mitte-links-Abgeordnete gaben einigen der Gesetzesartikel ihre Stimme, die konservative Nea Dimokratia stimmte gegen das Gesetzeswerk.
Für den Sender wurde ein Jahresetat von 60 Millionen Euro festgelegt, der durch eine Rundfunkgebühr von drei Euro pro Monat aufgebracht werden soll. Der Parlamentsbeschluss ermöglicht 1.550 früheren ERT-Mitarbeitern die Wiedereinstellung. Viele der 2600 ERT-Mitarbeiter waren nach der Schließung des Senders im Juni 2013 in den Ruhestand gegangen. Andere fanden beim ERT-Nachfolger NERIT eine Anstellung. Medienberichten zufolge soll der neue ERT-Sender 2300 Beschäftigte haben.
Mit dem Gesetz löste SYRIZA eines ihrer Wahlkampfversprechen ein. Die Schließung von ERT und die Entlassung all seiner 2600 Mitarbeiter hatte in Griechenland wochenlange Proteste ausgelöst. Vor dem Fernsehgebäude fanden zahlreiche Großkundgebungen und Solidaritätskonzerte statt. Ehemalige ERT-Beschäftigte hielten den Sender fünf Monate lang besetzt und strahlten ein Notprogramm über das Internet aus. Anfang November 2013 stürmten dann Spezialeinheiten der griechischen Polizei das Gebäude und setzten alle Besetzer auf die Straße.
Auch die Europäische Rundfunkunion kritisierte damals die Schließung. Im Mai 2014 ging als Ersatz der öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehsender NERIT auf Sendung. Er verfügte allerdings nur über ein kleines Budget und rund 500 Mitarbeiter.
Tsipras: Notfalls werden die Wähler entscheiden
Referendum möglich, aber keine Neuwahlen: Griechischer Regierungschef will Mandat der Bevölkerung, wenn Bedingungen der Gläubiger gegen SYRIZA-Wahlprogramm verstoßen - der Newsblog vom Dienstag zum Nachlesen
Derweil hat Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem im Streit um die Krisenpolitik Athen vor überzogenen Forderungen gewarnt. Es gebe »viel Unverständnis« darüber, dass die Verhandlungen so lange dauerten, sagte Dijsselbloem am Dienstag dem niederländischen Sender RTL-Z. »Wenn sie kein Geld haben, um alle ihre Wünsche zu finanzieren, müssen die Griechen ihre Wünsche der Realität anpassen«, sagte Dijsselbloem mit Blick auf die SYRIZA-geführte Regierung. »Die Wirklichkeit ist, dass es wenig Geld gibt und dass Griechenland derzeit ohne Hilfe da nicht raus kommt.«
Dijsselbloem sprach sich zugleich gegen eine mögliche Befragung des Volkes bei hatren Kürzungsvorgaben aus. Ein solches Referendum, das zuletzt auch Premier Alexis Tsipras als möglich erachtet hatte, sei nicht im Interesse Griechenlands, sagte Dijsselbloem. »Das wird Geld kosten, schafft große politische Unsicherheit und ich glaube, dass weder wir noch die Griechen die Zeit dafür haben.« Der Sozialdemokrat bekräftigte seine Absicht, eine zweite Amtszeit als Chef der Euro-Finanzminister anzutreten. »Meine Kandidatur werde ich erst bekanntmachen, wenn das Verfahren eröffnet ist.« Sein Mandat läuft im Juli aus. Agenturen/nd
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