Der 8. Mai als Gedenktag? Über deutschen Langmut
Bundesregierung und die meisten Bundesländer sehen keinen Handlungsbedarf
Bleibt die Bundesrepublik im bisherigen 40-Jahre-Rhythmus ihres Erkenntnisgewinns in Sachen 8. Mai, könnte der erst in zehn Jahren ein öffentlicher Gedenktag sein. Dann allerdings wird von jenen, für die sich im Frühjahr 1945 nach jahrelangem erlittenen Leid und unvorstellbarem Naziterror die Tore von Konzentrationslagern und Zuchthäusern öffneten, von Zeitzeugen des Holocaust und der Zwangsarbeit - wie auch von ihren Befreiern - kaum noch jemand am Leben sein.
Exakt vier Jahrzehnte hatte es gedauert, bis Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 öffentlich erklärte, der 8. Mai 1945 sei auch für die Deutschen ein Tag der Befreiung gewesen. Seither bemühen sich Opfer des Faschismus gemeinsam mit jungen Antifaschisten und linken Politikern in verschiedenen Parteien darum, dass diese späte Erkenntnis sich auch in angemessener staatlicher Würdigung und in Kalendern manifestiert.
»Damit der 8. Mai als Tag der Befreiung von der faschistischen Barbarei, als Gedenktag für Humanität, Toleranz und Demokratie und als Tag der Erinnerung an die Opfer sowie an die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer in der gesellschaftlichen Erinnerung den Platz bekommt, der ihm gebührt, wollen wir, dass der 8. Mai ein bundesweiter gesetzlicher Gedenk- und Feiertag wird«, erklärte die Linkspartei zum 70. Jahrestag der Befreiung. »In nahezu allen von Nazideutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, dies war auch in der DDR der Fall«, erinnert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und erneuert in einer Berliner Erklärung ihre Forderung nach einem offiziellen Gedenktag am 8. Mai auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Ein Vorstoß für die Einführung eines bundesweiten Gedenktages von vor fünf Jahren aus der damals noch rot-rot regierten Hauptstadt blieb ohne Erfolg. Die Bundesratsinitiative des Berliner Abgeordnetenhauses wurde am 24. September 2010 von der Länderkammer abgelehnt. Seit 2002 wird der 8. Mai in Mecklenburg-Vorpommern auf Betreiben der damaligen SPD-PDS-Landesregierung als »Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges« begangen. Ein Anfang. In dieser Woche hat das Regierungsbündnis von SPD und Linkspartei in Potsdam nachgezogen und den 8. Mai als gesetzlichen Gedenktag in Brandenburg verankert. oer
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.