Geschichtsbücher entzweien Nachbarn
Umstrittene Sicht Japans auf Aggression und Inselstreit
Japan verärgert seine Nachbarn. Wenige Monate vor dem 70. Jahrestag der japanischen Kapitulation im Pazifikkrieg eskaliert der Streit um die korrekte Auslegung der gemeinsamen Geschichte. Japan provoziert Südkorea und China mit neu zugelassenen Schulbüchern, in denen weniger Gewicht auf Japans Gräueltaten gelegt, dafür aber zwei umstrittene Inselgruppen als japanisches Territorium bezeichnet werden.
Jetzt sieht es wieder einmal so aus, als wäre das erste Gipfeltreffen der drei asiatischen Nachbarn seit fast drei Jahren in weite Ferne gerückt. Seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren lassen Südkorea und China Japans Premier Shinzo Abe zappeln. Abes Diplomaten arbeiten auf Hochtouren, doch jedes Mal, wenn ein Gipfel in greifbare Nähe zu rücken scheint, gibt es neuen Streit um die Vergangenheit.
Während die Insel Takeshima beziehungsweise Dokdo von Südkorea kontrolliert wird, stehen die Senkaku-, beziehungsweise Diaoyu-Inseln unter japanischer Kontrolle. Sie werden aber sowohl von China als auch von Taiwan beansprucht. Der Inselstreit mit China drohte in den vergangenen Jahren mehrfach zu einem militärischen Zusammenstoß zu eskalieren. Darüber hinaus empören sich Südkorea und China über die steigende Zahl von Schulbüchern mit verharmlosenden oder lückenhaften Beschreibungen der japanischen Aggression während des Zweiten Weltkriegs.
Während Südkorea den japanischen Botschafter einbestellte und kritisierte, dass Tokio eine »verzerrte Sicht der Geschichte« an die junge Generation weitergebe, warnte die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, der Schulbuchstreit gefährde den lang ersehnten Gipfel.
Schulbücher werden in Japan zwar von privaten Verlagen erstellt, müssen jedoch vom Erziehungsministerium genehmigt werden, bevor sie in Schulen eingesetzt werden dürfen. Seit Abes Regierung im vergangenen Jahr neuen Instruktionen für den Zulassungsprozess eingeführt hat, ist die Regierungsinterpretation des Territorialstreits Pflichtlektüre für alle 12- bis 15-Jährigen.
»Südkorea bringt seinen Schülern sehr rigoros bei, dass Takeshima zu Südkorea gehört«, verteidigte ein Sprecher des Erziehungsministeriums die neuen Schulbuchkapitel. »Wir versuchen lediglich, dem etwas entgegenzusetzen.«
In Japan gibt es keinen nationalen Konsens über die Weltkriegsgeschichte. Selbst revisionistische Ansichten der extremen Rechten, dass Japans Krieg in Asien nicht völlig unehrenhaft war, sind in konservativen Kreisen durchaus salonfähig.
Zwar hat der erzkonservative Abe wiederholt sein Bedauern über die Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg ausgesprochen, doch auch er vertritt ganz offen revisionistische Ansichten. In seinem Geschichtsverständnis waren die Tokioter Prozesse, bei denen die Siegermächte Japans Kriegsverbrecher verurteilten, reine »Siegerjustiz«.
Südkoreas Erziehungsministerium konterte die japanische Schulbuchzulassung mit der Ankündigung, in südkoreanischen Schulen künftig vertiefendes Zusatzmaterial über das Schicksal der »Trostfrauen« zu verteilen. Diese mussten als Zwangsprostituierte in japanischen Kriegsbordellen arbeiten.
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