Das Tempelhofer Feld wird zum »Hörmal!«
Von Fußball, Picknicken und Flugzeugbau: Bis Ende September gibt es Geschichte zum Hören
1944 war ein Viertel der Berliner Bevölkerung in der Zwangsarbeit. Auf dem Tempelhofer Feld arbeiteten Tausende von ihnen erst überirdisch im Flughafengebäude, später unterirdisch. Sturzkampfbomber wie der »Stuka Junkers 87« wurden hier montiert. Die Stukas starteten vom benachbarten Flugfeld direkt in den Krieg. Sie trugen ihre Bomben auch in die Herkunftsländer jener Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die sie bauten.
Kleine Zeitreisen in die Geschichte des Tempelhofer Feldes unternimmt nun die Audioausstellung »Hörmal!« Die Collagen der sechs Hörboxen, die seit heute unweit des Eingangs Columbiadamm hängen, wurden zusammen mit Schülerinnen und Schülern aus fünf Berliner und Brandenburger Schulen entwickelt. Darunter waren eine zehnte Klasse der Integrierten Sekundarschule Hugo-Gaudig und eine zwölfte Klasse der Schule für Blinde und Sehbehinderte Königs Wusterhausen. Bei verschiedenen Workshops erforschten die Schüler Leben und Leid von Zwangsarbeitern. Sie entdeckten das Columbiahaus, ein KZ mitten in Berlin, das abgerissen wurde, als die Nazis an derselben Stelle den Flughafen Tempelhof errichten ließen. Aber auch von erfreulicheren Seiten der Geschichte des Feldes erfuhren die Jugendlichen. Von den Flugkünstlern Otto und Gustav Lilienthal, von sonnenhungrigen Familien, die sich schon vor mehr als 100 Jahren auf dem Tempelhofer Feld zum Picknicken trafen, und von Fußballpionieren, die auf dem Feld mit unförmigen Schweinsblasen kickten. Diese Themen finden sich auch in den Hörstationen wieder.
»Alles was wir gehört haben, auch das mit den Tunneln vorm Flughafengebäude, war uns neu«, kommentiert Lisa Lemke, Schülerin aus Königs Wusterhausen, das Projekt. »In den Tunneln hingen so Metallstäbe an der Decke. Später kam raus, dass die früher als Transportschienen für den unterirdischen Flugzeugbau genutzt wurden.« Die Schienen sind einige der sehr wenigen sichtbaren Zeugnisse des ehemals weltgrößten Montagewerks für Bomber.
Doch wie kann man an die Geschichte erinnern, wenn man wie am Tempelhofer Feld nichts mehr von ihr sieht? Diese Frage hatten sich Joel Vogel, Tim Zülch und Jessica Zeller vom Verein Globale Medienwerkstatt gestellt. »Man könnte sich kaum erinnern, wenn man keine Form ohne das Sehen fände. Diese Herausforderung haben wir bewältigt durchs Hören,« erläutert Jessica Zeller, eine Projektleiterin von »Hörmal!«.
Den Schülern der Schule für Blinde und Sehbehinderte Königs Wusterhausen ist auch ein akustischer Ausstellungsrundgang für Blinde und Sehgeschädigte zu verdanken, der demnächst auf der Webseite von »Hörmal« herunterzuladen sein wird. Für die Beschreibung verwendeten die Schüler Orientierungsmerkmale wie Bodenbeschaffenheit, Akustik, Mauern. Martin Reis, Schüler der integrativen Schule in Königs Wusterhausen, lobt diesen Vorstoß, gibt aber gleichzeitig zu bedenken: »Besser wäre es sicher gewesen, den Weg mit einer durchgängigen Reihe von kleinen Steinplatten zu markieren, an denen sich Blinde mit ihrem Stock orientieren könnten.« Dagegen sprach jedoch die Parkordnung, die Eingriffe in den Bodenbelag des Tempelhofer Feldes untersagt.
Die Eröffnung des Hörmuseums »Hörmal!« fand am 30. April auf dem Tempelhofer Feld statt. Bis zum 30. September kann man unweit des Eingang Columbiadamm an den Hörstationen den Beiträgen lauschen. Broschüren zur Ausstellung sind an den Infopoints des Tempelhofer Feldes und im Kreuzbergmuseum erhältlich.
Webseite: www.hoermal-berlin.de
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