Erst Ballbesitz, dann einigeln
Juventus Turin setzt mit dem 2:1-Erfolg in der Champions League Real Madrid unter Druck
Turin. Die Tore sprechen spanisch, der Sieger ist italienisch. Dank der Treffer vom Argentinier Carlos Tevez und des Spaniers Alvaro Morata besiegte Juventus Turin bei einem Gegentor von Cristiano Ronaldo im Halbfinalhinspiel der Champions League den Titelverteidiger Real Madrid. Die »alte Dame« hat sich mit dieser Leistung endgültig wieder zurückgemeldet in der wichtigsten Teerunde des europäischen Klubfußballs. »Juve no limits« feierte die »Gazzetta dello Sport« euphorisch.
Entschieden ist damit noch nichts. »Wenn wir im Rückspiel weniger Fehler machen und schneller nach vorn spielen, wie wir das gewöhnlich zu Hause auch machen, können wir die Sache noch umbiegen«, meinte Toni Kroos, Ex-Münchner in Diensten der Königlichen, gegenüber »nd«. Die bekanntlich zuletzt sterbende Hoffnung ist sicher auch berechtigt. Während Real mit hoher Fehlerquote weit unterhalb seines Durchschnittsniveaus blieb, reizte Juventus sein aktuelles Potenzial annähernd aus. Der Zeitpunkt dafür hätte kaum besser gewählt sein können.
Turin zeigte beide unterschiedlichen Spielweisen, die der zu Saisonbeginn verpflichtete Trainer Massimiliano Allegri der Mannschaft verpasst hat. Die Methode Ballbesitzfußball war vor dem ersten Tor zu bewundern. Nach 26 Passstationen kam Tevez zu einem wuchtigen Schuss, den Reals Keeper Iker Casillas nur kurz abwehren konnte. Morata war zur Stelle und musste nur noch einschieben. Die Methode Einigeln und auf Konter lauern führte zum zweiten Tor. Auch hier waren Morata und Tevez beteiligt. Erst wurde der bei einem Konter mitgelaufene Morata zu Boden gerissen. Nach guter Vorteilsentscheidung wurde Tevez dann im Strafraum gefoult und verwandelte den Elfmeter gleich selbst.
»Scarface« und »Babyface« waren damit erneut die herausragenden Exponenten einer weitgehend perfekt agierenden Mannschaft. Wie schon gegen Borussia Dortmund spielten sich der narbengesichtige Tevez und der babyglatte Morata voller Lust und Elan die Bälle zu und sorgten nicht zufällig für die beiden Treffer.
Insgesamt bewies Juventus mehr Hunger und Leidenschaft. Kein Wunder, zwölf Jahre war es schließlich her, dass die Truppe das letzte Mal an einem Halbfinale der Champions League teilnahm. Aktive Erinnerungen daran konnten allenfalls die Oldies Gianluigi Buffon und Andrea Pirlo (damals mit dem AC Mailand sogar Finalsieger gegen Buffons Juve) aufbringen. Tevez kickte damals in Argentinien, Morata hatte gerade alle Milchzähne verloren und war einige Jahre von der Aufnahme in die Nachwuchsabteilung von Real entfernt.
Dass ausgerechnet Morata die Königlichen entzauberte, entbehrt nicht der Symbolik. Zu Saisonbeginn verließ er die »Galacticos«, weil er sich nicht zutraute, in naher Zukunft an den teuer erkauften Stürmern Gareth Bale, Karim Benzema und Cristiano Ronaldo vorbeizukommen. Bei Juventus wurde er behutsam aufgebaut und bekam erst in der zweiten Saisonhälfte mehr Spielzeit zugesprochen. Aufgrund seiner Beweglichkeit harmoniert er aber besser mit Tevez als der etwas ungelenke Fernando Llorente.
Bei Real werden die kommenden Tage von Fehleranalysen geprägt sein. Vor allem das Festhalten von Trainer Carlo Ancelotti am Abwehrmann Sergio Ramos im Mittelfeld neben Kroos führte zu zahlreichen Unterbrechungen der Kombinationen. Ancelotti, vor 12 Jahren noch Siegtrainer des AC Mailand im erwähnten Finale gegen Juventus, steht plötzlich in der Kritik. Sein gegenüber Allegri hingegen begann 2003 gerade erst seine Karriere als Trainer eines italienischen Viertligisten.
Die Verhältnisse haben sich geändert. Und der, der zum jetzigen Zeitpunkt alles ganz richtig gemacht hat, ist Morata. Im vergangenen Jahr holte er mit Real noch den Cup, jetzt ist er der Titelverteidiger mit der höheren Finalwahrscheinlichkeit.
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