Lokführerlobby

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Das ZDF geht mit der Zeit. Es wird ganz modern. Nein, hier soll nicht die Rede von der sogenannten Erotik-Offensive des Mainzer Senders sein, die mit der Ausstrahlung der Verfilmung des Romans »Feuchtgebiete« in dieser Woche seinen - vorläufigen - Höhepunkt erreichte. Das ZDF hat den Datenjournalismus für sich entdeckt. Kernstück des Datenjournalismus ist die Visualisierung und Bereitstellung von recherchierten Informationen im Internet. Bekanntestes Beispiel ist die Aufarbeitung der durch Wikileaks gelieferten Daten über den Irak- und Afghanistankrieg der USA und ihrer Verbündeten.

Die ZDF-Version des Datenjournalismus nennt sich »Lobbyradar«. Der besteht aus einer Datenbank, die die Verbindung zwischen den in Berlin tätigen Lobbyisten und der Politik visualisieren soll. Das Angebot wurde als Open Source erstellt und kann von jedem eingesehen und weiterentwickelt werden, teilte das ZDF mit. Ein ehrbares Anliegen, denn schließlich wird geschätzt, dass in der Hauptstadt auf einen der über 600 Bundestagsabgeordneten zehn Lobbyisten aus Wirtschaft und Verbänden kommen. Während man Erstere aber mit Namen und Gesicht kennt, bleiben Letztere in der Regel anonym.

Der Datenjournalist Lorenz Matzat hat sich das neue Online-Angebot des ZDF angesehen und kommt zu einer wenig schmeichelhaften Analyse. »Lobbyradar« sehe zwar »eindrucksvoll aus«, sei aber »eher ein Stück aus der Kategorie Data Porn«, schreibt Matzat auf seiner Seite datenjournalist.de. Der Aufgabe, den Einfluss von Lobbygruppen auf politische Entscheidungen darzustellen, komme das Portal nur bedingt nach. So fehlten Möglichkeiten, die Informationen nach dem Grad des Einflusses zu filtern. Allein aus einer Verbindung zwischen einem Politiker und einer Lobbygruppe ergebe sich noch keine relevante Information über den Grad der Beeinflussung. Man müsste z.B. als User die Möglichkeit haben, alle Verbindungen auszublenden, die auf bloßen Mitgliedschaften beruhten.

Eine solche Orientierung wäre sicherlich dieser Tage angesichts der Berichterstattung vieler Medien über den Streik der Lokführer hilfreich. Wahrscheinlich aber sind all die Carmen Miosgas, Klaus Klebers und ihre Kolleginnen und Kollegen in den meisten Zeitungsredaktionen nicht einmal eng verbandelt mit dem Personalvorstand der Deutschen Bahn, Ulrich Weber. Es fiel ihnen in der laufenden Streikwoche allerdings sichtbar schwer, in der Berichterstattung über den Konflikt zwischen der Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL die journalistische Distanz zu wahren. Stellvertretend für dieses Versagen steht eine Schlagzeile auf focus.de vom Donnerstag. Die Meldung über den von Grube auf einer Pressekonferenz verkündeten Vorschlag, den SPD-Politiker Matthias Platzek als Streikschlichter zu berufen, überschrieb focus-online mit dem Satz »Platzek soll die GDL zur Vernunft bringen«. Die Bahn kann sich glücklich schätzen: Wer eine solche Presse hat, braucht keine Lobbyisten.

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