Langer Lulatsch bei Langen Kerls
Ministerpräsident gratulierte umstrittener Militärtrachtengruppe zum 25. Geburtstag
Totgeschossene leben zwar nicht länger, Totgesagte indessen manchmal doch. Am Mittwochabend feierten die Potsdamer Langen Kerls ihren 25. Geburtstag. Als zeitweiliges Spektakel gegründet, betrachtet sich der Verein in historischer Uniform inzwischen als »lebendes Museum«, wie es bei der Festveranstaltung im Stadtmuseum hieß.
Zwar war Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) einer Stadtratssitzung wegen verhindert, aber mehr als getröstet und geehrt fühlten sich die Beteiligten durch die Anwesenheit und auch die Ansprache von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der sich seiner Ehrenmitgliedschaft im Trachtenverein mit der Nummer 210 rühmte. Sein Großvater habe bei den Berliner Garde-Ulanen gedient und wäre stolz auf seinen Nachkommen gewesen, glaubt Woidke. Er dankte den Männern, die »diese Tradition wiederbeleben«, die »mehr als nur ein touristisches Highlight« sei. Mit seinen 1,96 Metern sei es für ihn nicht alltäglich, zu anderen Männern noch aufzublicken, bekannte der Ministerpräsident.
Initiator des umstrittenen Vereins war nach der Wende der langjährige Chef der Potsdamer Gerichtsmedizin, Kurt Markert, der die Truppe 1990 gründete, um sie bis zur 1000-Jahr-Feier der Stadt 1993 in vollen Wichs und auf Vordermann gebracht zu haben. Markert geriet als einstiger verantwortlicher DDR-Gerichtsmediziner in Bedrängnis und musste »aus beruflichen Gründen den Vereinsvorsitz abgeben«, wie es bei der Festveranstaltung rücksichtsvoll hieß.
Mit ihren 25 Jahren hat die Truppe schon fast die Lebensdauer erreicht, die ihrem historischen Vorbild in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts insgesamt beschieden war. Die echten Langen Kerls brachten es auf nicht mehr als 30 Jahre. Als Marotte von Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. geschaffen, hatte die Riesengarde dem damaligen Wettstreit unter den Monarchen zu dienen: »Wer hat den längsten?« Unsummen kosteten die Langen Kerls den König eines damals bettelarmen Landes, der ansonsten aus lauter Geiz seinem Koch jedes Bund Petersilie nachrechnete. Für seine Garde war ihm aber nichts zu teuer.
Weil es in Brandenburg-Preußen nicht genügend Männer mit Gardemaß (mindestens 1,88 Meter) gab, wurden sie in ganz Europa wie bei einem Sklavenhandel zusammengesucht, zum Dienst gepresst, manchmal sogar entführt. Vor allem der russische Zar ließ sich die Freundschaft zu Preußen immer mal großzügig ein paar stattliche Russen kosten. In einem übermittelten Grußwort erinnerte Oberbürgermeister Jakobs daran, was die Männer »erleiden« mussten.
Wenn jemand groß genug war, dann schützten ihn nur extreme Hässlichkeit, Hautkrankheiten oder fehlende Schneidezähne vor dem Dienst bei den Langen Kerls. Denn die Papierpatronen mussten damals noch abgebissen werden. Zur Ehrenrettung der Kerls muss jedoch gesagt werden: Wenn sie schossen, dann bei einer Parade. Sie waren viel zu teuer, um sie in eine Schlacht zu schicken - und der Soldatenkönig führte keine Kriege.
Anders sein Sohn Friedrich II., der die Truppe, die nur einen sehr geringen militärischen Wert besaß, umgehend auflöste, als er an die Macht gelangte und sein Land in blutige Kriege stürzte.
Die neuen Langen Kerls gerieten aber schnell zwischen die Fronten. In den 1990er Jahren mochten viele Einwohner Potsdams dieses Militärspektakel nicht. So kam es, dass die Kerls in den USA, Großbritannien, Kroatien, Italien und vielen anderen Orten einen theatralischen Triumph nach dem anderen feierten, ihre Potsdamer Parade aber eine Art Kriegsdienst war. Wenn es gut ging, wurden sie von ihren Gegnern aus der linksalternativen Szene nur mit Plüschtieren beworfen. Eier waren wirkungsvoller, denn die teuren, maßgeschneiderten Uniformen ließen sich nur sehr aufwendig reinigen. Bis zu 200 Polizisten mussten aufgeboten werden, um den Exerziermarsch zu schützen. Das war irgendwann nicht mehr vertretbar. Die Parade wurde abgeblasen, sehr zum Bedauern der »Rechten«, wie zaghaft eingeräumt wird.
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