Athen: »Wir fordern Deutschlands Schulden ein«
U-Bahn in Griechenlands Hauptstadt erinnert an offene Reparationsfrage: Entschädigung für Verluste, Schulden und Opfer verlangt
Berlin. Bildschirme in der Athener U-Bahn zeigen seit Neuestem Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen für die Verbrechen während der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg. Die Idee zu dem 50-sekündigen Kurzfilm sei während eines Treffen des Verteidigungsministeriums mit Organisationen zum Weltkriegsgedenken gekommen, sagte Markos Charitos vom griechischen Reparationsausschuss der Nachrichtenagentur AFP.
Der Film wird in 35 U-Bahnhöfen gezeigt. Zu sehen sind zunächst Bilder von deutschen Kampfflugzeugen über dem Parthenon unterlegt mit den Worten »Zweiter Weltkrieg, Widerstand, wir vergessen nicht«. Es folgen eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotos von Opfern aus der Besatzungszeit. Dann wird eine Reihe von Forderungen aufgelistet, darunter Reparationen für Verluste, die Rückzahlung von Schulden und Entschädigung für Opfer sowie die Rückgabe archäologischer Schätze. »Wir fordern Deutschlands Schulden ein«, heißt es schließlich.
Die griechische Regierung unter der linken SYRIZA-Partei dringt - wie Vorgängerregierungen - seit ihrem Amtsantritt im Januar auf die Lösung der offenen Reparationsfragen und spricht von einer »moralischen Frage«, die gelöst werden müsse. Auch Ministerpräsident Alexis Tsipras setzte sich bei seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür ein. Aus Sicht der Bundesregierung ist die Frage der Entschädigungen für die deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges aber abschließend geregelt. Merkel sagte im März, sie sehe die Frage »politisch und rechtlich abgeschlossen«, bekannte sich aber zur Verantwortung für die Verbrechen der Nazis.
Berlin verweist auf eine Einigung von 1960 mit Griechenland und anderen betroffenen Staaten. Aus Sicht Deutschlands schließt der 4+2-Vertrag von 1990 zudem künftige Reparationsforderungen aus.
Juristen und andere Experten sehen das anders. Der Historiker Karl Heinz Roth etwa hatte gegenüber »nd« unlängst einen abschließenden Reparationsvertrag gefordert, der den 2+4-Vertrag nachträglich ergänzt. Roth plädierte für »eine Art Schlussakte, in der noch einmal alles auf den Tisch kommt und in der eine Bilanz der deutschen Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg gezogen wird«. Auf dieser Basis könnten dann die Ansprüche der noch nicht entschädigten Angehörigen und überlebenden Opfer befriedigt und die ausstehenden Reparationsleistungen geklärt werden.
Es sei »völkerrechtlich eindeutig«, dass die Frage der Reparationen für Griechenland bisher nicht abschließend beantwortet wurde, so der Historiker. Was er in den Akten der deutschen Außenpolitik gelesen habe, die sich mit dem Thema Entschädigung befassen, habe ihn »bestürzt: Wie extrem arrogant und herablassend mit den Forderungen aus Athen umgegangen wurde! Es gab ein paar Brosamen vom deutschen Herrentisch in den 1950er und 1960er Jahren – aber letztlich wurden die Griechen immer auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet.« Agenturen/nd
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