Krause hätte mehr Zuneigung verdient

Der Niedergang der ostdeutschen Solarindustrie, begleitet von kommissarischen Buchhaltersätzen: Matthias Dell über den Brandenburger Polizeiruf »Ikarus«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Von General Kurt Hammerstein ist eine schöne Führungsfiguren-Typologie überliefert. Danach gibt es kluge, fleißige, dumme und faule Offiziere, und meistens kommen zwei Eigenschaften zusammen. Für die höchsten Aufgaben sind nur die klugen Faulen geeignet, die klugen Fleißigen müssten dagegen in den Generalstab, während die dummen Faulen, die 90 Prozent jeder Armee ausmachen, nur für Routineaufgaben zu gebrauchen sind. Hüten müsse man sich vor den dummen Fleißigen, die könnten Unheil anrichten.

Analog dazu ließen sich die Sonntagabendkrimi-Geschichten ungefähr wie folgt katalogisieren: Es gibt die Folgen, die was wollen und das auch können, das sind die Besten. Dann kommen die, die was wollen, es aber nicht hinkriegen. Den Großteil machen die Bücher aus, die nichts wollen, dabei aber nicht ausfällig werden. Hüten muss man sich vor den Filmen, die nichts können, damit aber hausieren gehen.

Der Brandenburger Polizeiruf »Ikarus« (RBB-Redaktion: Daria Moheb Zandi) gehört eindeutig zur dritten Gruppe. Drehbuchautor Uwe Wilhelm hat einen Kriminalfilm als Permaquiz geschrieben - die ganze Zeit wird gefragt und geantwortet, zusammengefasst und wieder gefragt, bis am Ende der richtige Täter ausgerechnet ist. Das klingt dann etwa so: »Glauben Sie wirklich, dass Paul Daniel und mich umbringen wollte? - Wusste Paul, dass Sie mitfliegen? - Das hab ich ihm nicht gesagt. - Wie lange geht das schon mit Daniel? - Erst zwei Wochen. - Ist es was Ernstes?« Und es ist in seinem unsinnigen Detailfleiß total ermüdend.

Gesellschaftliches Thema ist der Niedergang der deutschen Solarindustrie, privates Thema die Liebe und die Freundschaft. Als origineller Gimmick hält die Kunstfliegerei mit alten Maschinen her, als privates Emo-Motiv eine französisch aufgeladene Pseudo-Menage-á-trois.

Alles ist von Autor Wilhelm auf »dual use« getrimmt, heißt, jeder könnte’s jederzeit gewesen sein, das Motiv sich als privat (Eifersucht) oder ökonomisch (Bankrott) herausstellen. Das ist praktisch, wenn man die Anwesenheit von vielen Möglichkeiten als den Gipfel der Spannung von Rate-Täter-Dramaturgien denkt. Aber leider nur dann.

Außerdem: Alte Freunde sehen in Fernsehfilmen, die in sich abgeschlossenen sind, nie gut aus, weil man sie doch zum ersten Mal sieht, für die Zuschauerin handelt es sich deshalb immer um neue Freunde. Gilt auch für die lange Freundschaft, die den tapferen Wachtmeister Horst Krause (Horst Krause) mit dem aus dem Flugzeug gefallenen Sohn Daniel (Hauke Diekamp) verbinden soll - dass die so dicke sind, hat man am Ende vergessen, weil sich Nähe nur mitteilen würde, wenn man sich vorher die Zeit nähme, sie zu erzählen, anstatt immer nur in Buchhaltersätze auszugeben, denen man das dann glauben soll.

Dass die beiden Geschäftspartner-Jules-und-Jim, Martin Reef (Martin Feifel) und Peter »Tindr« Tender (Bernhard Schir) zum Schluss an die Orgel des großen »Was ist aus uns geworden?« treten, wird in der Beflissenheit, mit der Buch auch diesen Gefühlsverstärker (ganz, ganz tiefe Freundschaft) mitnehmen will, unfreiwillig satirisch: »Weißt du noch, wie wir angetreten sind, wir zwei? Wir wollten die Welt verbessern, und wir haben’s auch fast geschafft.« Wer das von sich sagen kann, darf auch sterben.

»Ikarus« (da Peter Kahane als Regisseur fungiert, lässt sich der Titel als Heiner-Carow-Referenz lesen) zeigt immerhin ein paar schöne Tableaus von neuerer Architektur in Brandenburg (Kamera: Gero Steffen). Und übt sich an einer impressionistischen Variante des »walk and talk«: Was in »West Wing« als flinkes Flurgespräch im Gehen die Business des Weißen Hauses hübsch zuspitzt, ist hier touristische Demonstrationsbewegung vor der Schönheit des Landes - die Kommissarin Lenski (Maria Simon) switcht manchmal im gleichen Dialog mit den Befragten den Hintergrund, vor dem geredet wird; der schönste ist eindeutig die Pferdekoppel.

Apropos Hintergrund: Leider ist die öde Story die Kulisse, in der Abschied von der kernigen Figur des Wachtmeister Krause genommen wird. Er hätte mehr Zuneigung verdient gehabt.

Eine Auskunft, die häufiger gegeben werden sollte:
»Es tut mir leid, ich habe meine Anweisungen.«

Ein Freud'scher Verhörer, der in die Zukunft weist:
»Was läuft denn da zwischen dir und Tindr?«

Sagt das Mädchen zum Matrosen:
»Es tut mir leid, ich muss noch mal in die Firma.«

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