Angriff auf den Mietspiegel

Streitigkeiten um die Miethöhe könnten künftig teuer werden

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Charlottenburger Amtsgericht erklärt den Berliner Mietspiegel für unwirksam. Das kann erhebliche Folgen haben - auch für die Wirksamkeit der ab Juni geltenden Mietpreisbremse.

Für Mieter könnte es künftig schwerer werden, sich gegen ungerechtfertigte Mieterhöhungen zu wehren. Wenige Tage vor Veröffentlichung des neuen Berliner Mietspiegels hat das Amtsgericht Charlottenburg die Aussagekraft des Zahlenwerks erschüttert. In seinem Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der Mietspiegel 2013 nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden aufgestellt worden sei. Deshalb könne er nicht zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete herangezogen werden.

In dem konkreten Fall ging es um eine Altbauwohnung in Charlottenburg, für die die Miete von 853,21 auf 946,99 Euro netto/kalt erhöht werden sollte. Bei einer Größe von 131,71 Quadratmetern wären dies 7,19 Euro pro Quadratmeter. Das entsprechende Mietspiegelfeld weist für eine solche Wohnung eine Mietspanne von 4,25 bis 7 Euro pro Quadratmeter aus, bei einem Mittelwert von 5,30 Euro. Deshalb weigerte sich der Mieter, die höhere Miete zu zahlen, und der Vermieter zog vor Gericht. Das bestellte einen Gutachter, der die »Extremwertbereinigungen« des Mietspiegels, also das Aussondern von sehr niedrigen und sehr hohen Mieten, monierte. Dadurch seien vergleichbare Mieten zwischen 7 und 11 Euro pro Quadratmeter »zu Unrecht als Wucher eingestuft worden«, so das Gericht. Demnach sei davon auszugehen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete im konkreten Fall bei 7,23 Euro pro Quadratmeter liege und daher die Mieterhöhung gerechtfertigt sei. Außerdem entspreche die Einordnung des Stadtgebietes in nur drei Wohnlagen - einfach, mittel, gut - nicht wissenschaftlichen Grundsätzen.

Sollte das Urteil Bestand haben, könnten in Berlin in Zukunft vermehrt Gutachten zur Ermittlung der Vergleichsmiete herangezogen werden. Und die sind teuer. »Bis zu 5000 Euro«, schätzt Dieter Blümmel vom Eigentümerverband Haus und Grund. Mieter werden es sich also überlegen, ob sie einer Mieterhöhung widersprechen und es auf ein Gerichtsverfahren ankommen lassen. Denn zahlen muss der Unterlegene. Im Gegenzug würden Vermieter ermutigt, gegen widerspenstige Mieter zu klagen, so der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. »Mietstreitigkeiten werden zu einem unkalkulierbaren Risiko.«

Mieterverein wie auch die Stadtentwicklungsverwaltung verweisen jedoch darauf, dass das Urteil nur eines von mehreren auch am Amtsgericht Charlottenburg ist. »Dort wurden bisher fünf derartige Verfahren behandelt, die Richter kamen jeweils zu unterschiedlichen Urteilen«, so Sprecher Martin Pallgen. Es sei also eine Einzelfallentscheidung, andere Kammern hätten die Rechtskraft des Mietspiegels bestätigt. »Er ist mitnichten gekippt. Wir gehen weiterhin davon aus, dass es sich um einen qualifizierten Mietspiegel handelt.«

Zumal der Fall in die Berufung geht und dann vor dem Landgericht Berlin verhandelt wird. Dort allerdings ist bereits ein ähnlicher Fall anhängig mit demselben Gutachter, der die Expertise für das Amtsgericht Charlottenburg erstellt hat. Das Urteil wird im Juli erwartet.

Erste Auswirkungen hat der Charlottenburger Richterspruch bereits: Zwei von drei Vermieterverbänden werden den neuen Mietspiegel, der am Montag vorgestellt wird, nicht wie in den vergangenen Jahren mit unterzeichnen. Er sei zwar der »beste in Deutschland«, so Haus-und-Grund-Sprecher Blümmel, aber bei der Datenerhebung nicht repräsentativ. Er wird aber trotzdem in Kraft treten, da dafür die Unterschrift des Stadtentwicklungssenators reicht. Aber auch die Mieterverbände tragen ihn mit.

Reiner Wild sieht in der Verweigerung der Vermieterlobby ein »durchsichtiges Manöver«, um die Mietpreisbremse anzugreifen. Die tritt in Berlin am 1. Juni in Kraft und soll verhindern, dass bei Wiedervermietung einer Wohnung eine Miete von mehr zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete verlangt wird. »Der Nachweis einer Überhöhung wird dann schwieriger«, so Wild. Er fordert wie auch Haus und Grund von der Bundesregierung eine Rechtsverordnung mit einheitlichen Standards über die Aufstellung von Mietspiegeln. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Steffen Zillich, befürchtet, dass die Mietbremse ansonsten den Rest an Schutzwirkung verliert.

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