Rumänien verliert seine Ärzte
Unterbezahlte und überlastete Mediziner in Deutschland, Großbritannien und Schweden gefragt
Zu sozialistischen Zeiten sei Rumäniens Gesundheitswesen »schwächer und schlechter« gewesen, konstatiert Aurel Bizo, Chef der Ärztekammer im rumänischen Cluj. Doch ein Vierteljahrhundert nach der blutigen Wende blickt der 61-Jährige nach seiner 33-jährigen Karriere als Arzt eher pessimistisch in die Zukunft seines Berufsstands. Wenn die Abwanderung nicht gestoppt werde, »wird uns der Ärztemangel dramatisch treffen«, warnt der Kinderarzt. Nein, enttäuscht sei er über die emigrierten Kollegen nicht - er verstehe sie: »Es ist einfach unannehmbar, dass ein junger Arzt gezwungen ist, sich von seiner Familie aushalten zu lassen.«
Der Aderlass scheint nicht zu stoppen. Seit Rumäniens EU-Beitritt 2007 haben 14 000 Ärzte ihre Heimat verlassen. Die Zahl der abgewanderten Krankenschwestern und Pfleger beziffert Stefan Roman, Chef der »Sanitas«-Gewerkschaft in Cluj, auf zwei- bis dreimal so viel. Den Hauptgrund für das Ausbluten des Gesundheitswesens sieht er in der Bezahlung.
Ungerechnet rund 218 Euro im Monat verdienten Berufsanfängerinnen als Krankenschwester, deren magerer Lohn auch bis zum Renteneintritt nur selten über 500 Euro steige, so Roman. Nicht viel besser sehe es bei der Bezahlung der noch knapp 40 000 Ärzte des Landes aus. Das Einstiegsgehalt eines Assistenzarztes liege bei knapp 270 Euro pro Monat, das im Laufe des Berufslebens bis auf durchschnittlich 700 Euro ansteige: »In Westeuropa, den USA und Australien verdienen Ärzte 10 bis 20 Mal so viel.« Die Folgen des »Exodus« seien schon jetzt »katastrophal«, berichtet der frühere Laborangestellte Roman. Der Personalmangel im Gesundheitswesen werde insgesamt auf 42 000 Ärzte und Pflegerinnen geschätzt.
Ihren richtigen Namen will Oana lieber nicht veröffentlicht wissen. Seit vier Jahren arbeitet die 29-Jährige als Assistenzärztin in der Intensivstation einer Klinik in Iasi. Chronische Personalnot und pampige Patienten empfindet die Internistin als »größte Herausforderung«. Bei 24-stündigen Notfallschichten gerate auch sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit: »Oft kann ich mich kaum mehr auf den Beinen halten.«
Obwohl die Jungärztin Oana für ihren auszehrenden Beruf nur ein Monatsgehalt von rund 290 Euro plus eine Zulage von maximal 20 Lebensmittelkarten erhält, verschwendet sie an eine Emigration keine Gedanken. Für ihren Beruf nehme sie schon jetzt viel in Kauf und sie wolle ihm nicht auch noch ihr Privatleben opfern: »Meine Freunde und mein Gemütszustand sind mir wichtiger als Geld.«
Cluj hat Glück. Die Anwerbung von Ersatz für abgewanderte Ärzte fällt in der populären Universitätsstadt nicht schwer. Düsterer sieht es in der Provinz aus. So steht die Kinderklinik in Tulcea vor der Schließung, weil sich keine Ärzte finden. Am gefragtesten seien im Ausland die Fachärzte, berichtet Bizo: Die beliebtesten Zielländer seien Deutschland, Großbritannien und Schweden. In den Westen gingen in der Regel qualifizierte Ärzte und Pfleger, in deren Ausbildung der Staat »viel Geld investiert hat und nichts dafür zurückerhält«, ärgert sich Gewerkschafter Roman.
Und wie sieht Rumäniens Gesundheitssystem in 20 Jahren aus? Möglicherweise werde mit »Billigärzten« aus Asien versucht, die Lücken zu füllen, orakelt düster Kammerpräsident Bizo: »Die Zahl der Krankenhäuser wird zurückgehen.«
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