Ich brauch’ mal was Schönes
Liebevoll drehendes Verdächtigenkarussell, hübsch ausgemalte Pathologien: Matthias Dell über den Frankfurter Tatort »Kälter als der Tod«
Im Fußball geht es, auch wenn die deutsche Meisterschaft längst entschieden ist, gerade dem Saisonhöhepunkt entgegen, und im »Tatort« ist's nicht anders. Zumindest wenn man die epische Vorberichterstattung zugrunde legt, mit der sich das »Zeit«- Magazin schon vor Monatsfrist als führende Fernsehzeitschrift profilierte. Auf 32 Seiten wurde dort der erste Fall des neuen Frankfurter-»Tatort«-Teams (HR-Redaktion: Liane Jessen, Jörg Himstedt) anerzählt, was, journalistisch betrachtet, ein neues Genre darstellen dürfte (die Drehbuchnachvertextung), und, fernsehzeitschriftenästhetisch, eben den längsten Sendehinweis aller Zeiten.
Grund dafür dürfte der Umstand sein, dass mit Michael Proehl (Drehbuch) und Florian Schwarz (Regie) für die Neueinrichtung des Schauplatzes Frankfurt nach der kurzen, aber prickelnden Zeit mit Nina Kunzendorfs fescher Conny und Joachim Króls etwas schwergängigem Fränki Steier verantwortlich sind. Wenn wir schon dauernd mit Fußballmetaphern rumfuchteln, lässt es sich auch so sagen: Das Duo Proehl und Schwarz hat schon zweimal die »Tatort«-Champions-League gewonnen - mit dem legendären Umverteilungs-Schweighöfer-Tatort: »Weil sie böse sind« (2010, ebenfalls in Frankfurt) und der preiseüberschütteten Kunst-as-Kunst-can-Sublimierung »Im Schmerz geboren« (2014, in Wiesbaden).
Gemessen an diesen Erwartungen fällt der Frankfurter Neustart »Kälter als der Tod« eher gewöhnlich aus. Die Geschichte vollzieht sich als klassisches Whodunit (»Wer hat es getan?«), weshalb sie sich ja auch so gut geeignet hat als vorab veröffentlichte große Täterrätselei in der Zeitung. Das Verdächtigenkarussell dreht der Film freilich liebevoller und geschickter, als man es vom Lena-Odenthal-Standardmodell dieser Erzählform kennt. Während dort die vier Verdächtigen von 20.20 Uhr bis 21.30 Uhr der Reihe nach durchmoderiert werden, bis der als letzter fokussierte Mörderaspirant es schließlich war, hält der Frankfurter »Tatort« Details der Tat und Motive der Kandidaten lange vage.
Und er malt die verschiedenen Pathologien hübsch aus - etwa bei Roman Knizkas panickend-desolatem Rettungsarzt Martin Kern, der Gattin und Opferschwester Silke (Carina Wiese) ausschließlich als Bauernopfer seiner sexuell-mörderischen Winkelzüge zu benutzen scheint. Oder in der originellen Figur des Postboten (Sebastian Schwarz), der sich gegen seine Einsamkeit Inneneinrichtungstipps von Familien abzweigt, denen er durch Paketzustellungen geschäftlich verbunden ist.
Die Geschichte von »Kälter als der Tod« entfaltet sich wirkungsvoll in die Tiefe, wenn erst herauskommt, dass Nachhilfe-Miranda (Emily Cox) die zur Adoption freigegebene Tochter der toten Frau Sanders ist, und später, dass das Kind Folge des Missbrauchs durch den Großvater ist. Die Wendungen des Falls projizieren sich als widerstrebende und attraktive Gefühle abwechselnd, auch das ein schöner Einfall, auf einen eigens komponierten Krypto-Spät-Achtziger-Anfang-Neunziger-Dance-Hit namens »Could it be you« der erfundenen Pop-Formation »Margaux & The Point« (Musik: Florian van Volxem, Sven Rossenbach).
Gefilmt ist »Kälter als der Tod« mit Sinn für Distanz und monochrome Bilder (Kamera: Philipp Haberlandt). Der inszenatorische Gimmick des emotionalen Reenactments, bei dem dann Kommissar Brix etwa durch die Erzählungen des Postboten neben dem vorm Haus der Sanders’ steht und den Wohlgeruch von Kaffee und Kuchen einatmet, bleibt etwas dem Ganzen äußerlich. Auch wenn er zur duften Stimmung passt, die im Ermittlerduo, aber auch gegenüber jüngeren Schutzbefohlenen herrscht (Kommissarin Janneke lässt sich duzen).
Womit wir beim neuen Ermittlerduo wären: Die Figuren bleiben, wiewohl prominent besetzt mit Margarita Broich und Wolfram Koch, in ihrer Anlage blass, die Gefahr, dass von dem Paar gesellschaftliche oder auch kriminalistische Innovation ausgeht, ist gering: Sie ist Psychologin und fotografiert gern, er steht spät auf und hat eine kernige Vermieterin (Zazie de Paris). Immerhin vertragen sie sich umgehend, den Pfundskerl Roeland Wiesnekker in der Rolle des Vorgesetzten Henning »Leni« Riefenstahl muss man mögen.
Kurz: Die Champions-League kann man nicht jedes Jahr gewinnen.
Ein Hinweis, der in Bankerkreisen Karriere machen könnte:
»Sie müssen ihren Mann nicht rechtfertigen«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Du tropfst den Boden voll«
Eine Zeitansage, die lange hält:
»Wir leben im 21. Jahrhundert«
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