Eine »Fahrt ins Blaue« mit 1100 Kollegen
Ein Streiktagebuch aus Saarbrücken, fünfter Eintrag
Im Roman »Germinal« von Zola treibt die Bergwerksgesellschaft ihre Häuer durch Lohnkürzungen in den Streik, um während einer Absatzkrise Lohnkosten zu sparen. Erst als die Kohle wieder gut verkäuflich ist, »erlaubt« die Hüttengesellschaft den halb verhungerten Arbeitern wieder einzufahren - zu schlechteren Bedingungen als zuvor.
Hoffen wir, dass unbegründet ist, was während der jüngsten Kundgebung geäußert wurde, dass nämlich die Arbeitgeber extra den Streik der Erzieherinnen lange laufen ließen, weil sie so Kosten sparten. »Wenn das so wäre, wäre es eine Sauerei!«, rief Michael Blug ins Mikrofon. Michael Blug ist ver.di-Landesbezirksleiter Rheinland-Pfalz-Saarland.
Die Eltern, denen als »Hauptunterstützer« des Streiks kräftig applaudiert wurde, sollten jetzt Druck aufbauen und ihre Kita-Gebühren zurück verlangen. Druck sollten auch die Oberbürgermeister und Bürgermeister auf die VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) machen, die am 28.5. in Frankfurt am Main tagt. Vorher ist vermutlich mit einem annehmbaren Angebot nicht zu rechnen. Und ohne das wird und muss weiter gestreikt werden.
Die Kollegen sind dazu bereit, wie ich rings um mich höre. Die Kundgebung in Schmelz ist sogar noch größer als die in Saarbrücken vergangenen Dienstag mit 700 Teilnehmern. Ich stehe mit meiner Trillerpfeife und roten Mütze zwischen schätzungsweise 1100 (!) Menschen.
Bisher liegt nur ein Angebot der Arbeitgeber vor, in dem einige wenige etwas mehr verdienen sollen. Die Streikenden wünschen eine Aufwertung für alle.
Viele Bürgermeister, auch die Oberbürgermeisterin von Saarbrücken, verstehen die Forderungen der Erzieherinnen. Eine Ausnahme ist der Bürgermeister von Schmelz, der der ver.di-Jugendsekretärin Julia Pranke den Zutritt zu den Kitas verweigerte. Ver.di-Plakate durften in Schmelzer Kitas nicht aufgehängt, ver.di-Elternbriefe nicht verteilt werden. Dieses Verhalten eines Bürgermeisters ist im Saarland einzigartig. Deshalb fand die Kundgebung vor dem Schmelzer Rathaus statt.
Ironisch schlug Stefan Schorr von ver.di vom Kundgebungswagen herab vor, am Ortseingang von Schmelz Schilder aufzustellen: »Hier endet der demokratische Sektor des Saarlandes«. Was immer der Bürgermeister erreichen wollte - der Schuss ging nach hinten los: In den letzten Tagen traten 50 Kolleginnen in ver.di ein, in Schmelz ist nur eine Not-Gruppe in einer Kita noch geöffnet.
Man müsste den Bürgermeister einer Gemeinde im saarländischen Landkreis Saarlouis mit laut Webseite 17078 Einwohnern nicht so sehr beachten, wenn dieser nicht auch alternierender Vorsitzender des KAV (Kommunaler Arbeitgeberverband Saar) in der VKA wäre. Er entscheidet am 28.5. mit.
Das heißt, auch mit diesem Mann muss verhandelt werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.