Grüne duldeten jahrelang Pädophile
Mindestens zwei Straftäter teilweise bis 1995 in Partei aktiv
Der Berliner Landesverband der Grünen ist eines seiner dunkelsten Kapitel angegangen: das jahrelange Dulden von pädophilen Netzwerken und Parteimitgliedern bis 1995, die in zwei Fällen gar als pädosexuelle Straftäter verurteilt worden waren. »Die junge Grüne-Partei war blind für die Opfer sexueller Gewalt«, erklärte die Berliner Landesvorsitzende der Partei, Bettina Jarasch. Der Landesvorstand stellte am Mittwoch den Bericht der »Kommission Aufarbeitung« vor, die seit November 2013 die Haltung des Landesverbandes zu Pädophilie und sexueller Gewalt gegen Kinder untersucht hatte. Neben Parteimitgliedern waren an der Fertigstellung der 90-seitigen Untersuchung, die quasi die Fortsetzung eines Berichtes auf Bundesebene ist, auch Historiker und Opferorganisationsvertreter beteiligt.
Die Ergebnisse der Untersuchung sind erschreckend. Seit der Gründung Ende der 70er Jahre wurden über Jahre zwei verurteilte pädosexuelle Straftäter in der Partei geduldet. Beide sind inzwischen verstorben. In zwei Eintrittswellen (Ende der 70er Jahre und 1992) haben Pädophile versucht, ihre Positionen in die Partei zu tragen. Zuletzt gründete der verurteilte Straftäter Fred Karst Anfang der Neunziger Jahre eine sogenannte »AG Jung und Alt«, die »Butterfahrten« und »Zeltfahrten« plante. Wie viele Mitglieder es gab und was die quasi klandestin organisierte AG genau machte, ist bis heute ungeklärt. Es ist nicht auszuschließen, dass bei den Aktivitäten der AG Jungen missbraucht wurden. Organisatorische Konsequenzen oder wenigstens eine Auseinandersetzung mussten die Pädophilen indes nicht fürchten. »Wir schämen uns für das institutionelle Versagen unserer Partei«, sagte Jarasch. Sie bat im Namen der Grünen die Opfer um Entschuldigung. Nahezu alle pädosexuellen Aktivitäten wurden im sogenannten schwulen Bereich der Partei organisiert, der zeitweise offenbar von Pädophilen regelrecht unterwandert war. Und dies noch, nachdem die Partei die Propagierung der vermeintlich »einvernehmlichen Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen« abgeräumt hatte.
Die Berliner Grünen wollen jetzt für »ihr schreckliches Versagen« die Verantwortung übernehmen. »Wir sehen uns als unsere ureigenste Pflicht an, diese dunkele Kapitel unserer Parteigeschichte aufzuarbeiten«, sagte der Landesvorsitzende Daniel Wesener. Er kündigte Konsequenzen an: Neben dem Einsatz gegen jede Form sexualisierter Gewalt sollen zivilgesellschaftliche Hilfsstrukturen finanziert werden. Der bundesweite Hilfefonds für Opfer sexueller Gewalt wird aufgestockt. Menschen, die im »institutionellen Verantwortungszusammenhang« der Grünen Opfer sexueller Gewalt geworden sind, wird eine »Anerkennungszahlung« in Aussicht gestellt. Die Partei hofft, dass sich durch die öffentliche Debatte nun Opfer zu Wort melden. Die Aufarbeitung soll in jedem Fall weitergehen.
Die große Leerstelle der Studie ist allerdings genau das Fehlen der Opferperspektive. Wahrscheinlich haben Jungen und Mädchen, die missbraucht wurden, gar nicht gewusst, dass die Täter auch bei den Grünen aktiv waren, wird vermutet. Schließlich gab und gibt es pädosexuelle Netzwerke an verschiedenen Orten in Berlin. Bis zu 16 000 Mädchen und Jungen werden in Berlin jährlich Opfer sexueller Gewalt, hat eine Hilfsorganisation 2004 errechnet. Davon, dass es bei den Grünen »bis zu 1000 Missbrauchsopfer« gab, wie es ein Kommissionsmitglied der Partei im März auf einer Veranstaltung beziffert hatte, steht nichts im Bericht. Diese Zahl sei »spekulativ«, hieß es am Mittwoch.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.