Vielfältige Zukunft ohne Faschisten
Bündnis »Neuruppin bleibt bunt« wehrt sich gegen größten Naziaufmarsch im Bundesland
Für den Tag der deutschen Zukunft (TddZ) am 6. Juni in Neuruppin werben Neonazis mit einem Abbild des Schriftstellers Theodor Fontane (1819-1898) und mit einem Zitat. »Die Liebe zu dem Fleck, der uns geboren, schließt hundert Kräfte in sich.« Der Theodor-Fontane-Gesellschaft missfällt dieser Missbrauch. Jedoch kann niemand etwas dagegen ausrichten, da auf den Schriften des großen Sohnes der Stadt Neuruppin fast 117 Jahre nach seinem Tod kein Urheberrecht mehr liegt.
Etwas tun lässt sich allerdings gegen die geplante Veranstaltung am 6. Juni. Das Bündnis »Neuruppin bleibt bunt« und das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit laden zu einer Gegendemonstration und zu einem Fest für alle unter dem Motto »Schöner leben ohne Nazis - Vielfalt ist unsere Zukunft«. Zwei Demonstrationen zum Schulplatz starten um 10 Uhr an der Bruno-Salvat-Straße und am Rheinsberger Tor. Am Ziel gibt es von 10 bis 22 Uhr das genannte Fest. Es wird von der Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« mit 11 000 Euro aus Lottomitteln gefördert.
Bildungsminister Günter Baaske (SPD) gehört zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs. Er begründet das so: »Für mich ist das so eine Art Bürgerpflicht, erstens - wenn es irgendwie geht - da hinzufahren, dabei zu sein. Zweitens: Wir lassen uns von den Nazis nicht den Sommer versauen.« Brandenburg sei ein buntes Land. Man lasse sich nicht gefallen, »dass Nazis aus Bayern, aus dem Saarland oder sonst woher anreisen, dass die hier einen Acker finden, um sich auszutoben«.
Hinter dem Tag der deutschen Zukunft steht eine Initiative »Zukunft statt Überfremdung«, die sich mit der Bitte um Zusammenarbeit an die Landesverbände der neofaschistischen Parteien NPD und Die Rechte wandte. Der TddZ hat seit 2009 sechs Mal stattgefunden: nacheinander im schleswig-holsteinischen Pinneberg, in Hildesheim, Braunschweig, Hamburg, Wolfsburg und Dresden. Zum Auftakt 2009 kamen nur 250 Teilnehmer. Danach schwankten die Zahlen nach Angaben der Organisatoren zwischen 500 und 750.
Das Brandenburger Innenministerium rechnet jetzt mit 400 bis 600 Teilnehmern. Wenn tatsächlich so viele kommen, wäre dies der größte Naziauflauf in Brandenburg seit Jahren, warnt die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE). Möglicherweise wäre es sogar der größte Neonaziaufmarsch, den das Bundesland je erlebt hat. Mit mehr als 500 Teilnehmern wären jedenfalls die Dimensionen des einstmals berüchtigten Heldengedenkens am Soldatenfriedhof Halbe erreicht.
Wie viele Gegendemonstranten werden erwartet? Dies sei schwer zu sagen, erklärt Martin Osinski von »Neuruppin bleibt bunt«. »Wir hoffen natürlich, dass alle demokratischen Veranstaltungen an diesem Tag deutlich mehr Aufmerksamkeit erregen werden als der traurige TddZ der Rechtsextremisten.«
Die Abgeordnete Johlige hat sich fest vorgenommen, am 6. Juni nach Neuruppin zu fahren und dafür notgedrungen dem Bundesparteitag in Bielefeld fern zu bleiben. Nach Neuruppin kommen wollen auch andere Abgeordnete und Justizminister Helmuth Markov (LINKE), der eine Rede halten wird.
Mitzumachen, rät Gregor Gysi, Linksfraktionschef im Bundestag. »Wir müssen uns gegen die Nazis stellen, schon aufgrund unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 sind wir verpflichtet, Flüchtlinge anständig zu behandeln«, argumentiert er. »Außerdem muss deren Leben gerettet werden im Mittelmeer.« Verschmitz fügt Gysi hinzu: »Dann gibt es ja noch was: Jedes Jahr sterben mehr Deutsche als geboren werden. Das liegt zum Glück daran, dass die Nazis sich auch nicht besonders vervielfältigen. Schon deshalb sind wir auf Zuwanderer aus anderen Ländern angewiesen.«
Interpret Sebastian Krumbiegel (»Die Prinzen«) nahm zur Unterstützung der Gegendemonstration extra eine Musiksequenz auf. Klavier spielend singt er: »Kein Mensch hat Lust auf Ärger,/ kein Mensch ist illegal./ Schöne Grüße aus Neuruppin./ Wir sind doch international.« Dazu sagt Krumbiegel: Am 6. Juni gehe es darum, »Nazis zu blockieren, denn die brauchen wir nicht«. Neuruppin bleibe bunt, »genau wie Leipzig und der Rest der Republik«.
Singend und Gitarre spielend leitet auch Musiker Toni Krahl (»City«) seine Stellungnahme ein. Er meint dann: »Sollten wir in Zeiten wie diesen Probleme lösen wollen in Deutschland, dann brauchen wir dafür ganz gewiss keine Nazis. Wir brauchen in Deutschland keine Nazis und wir brauchen auch in Neuruppin keine Nazis.«
Im hetzerischen Aufruf für den TddZ steht, seit Jahren spreche die nationale Opposition die Probleme an, »die Überfremdung und Globalisierung mit sich bringen«. Anfangs sei man als Schwarzmaler hingestellt worden, weil dieses Thema scheinbar nicht relevant gewesen sei und die Bürger »ihr ruhiges Leben neben den wenigen Fremden weiter genießen konnten«. Doch die Situation habe sich gewandelt. Asylheime »sprießen mittlerweile auch in den ländlichen Regionen Brandenburgs wie Pilze aus dem Boden und stören nun auch die normale Bevölkerung«, heißt es. Verblendete seien es, die denken, man müsse Kriegsflüchtlingen doch helfen - und die dabei vergessen, »dass die meisten Asylanten so genannte Wirtschaftsflüchtlinge sind«.
Für den TddZ mobilisieren nach Erkenntnissen des Innenministeriums etwa die Freien Kräfte Neuruppin und der NPD-Ortsverband. Schon seit Juli 2014 sei bundesweit bei Versammlungen per Mikrofondurchsage für den Tag der deutschen Zukunft geworben worden, berichtet Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Einheiten des Polizeipräsidiums und Beamte aus anderen Bundesländern sollen am 6. Juni in Neuruppin zum Einsatz kommen.
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