Das Gesetz zur Tarifeinheit spaltet
Seit 2010 streiten Politik und Gewerkschaften um das neue Regelwerk. Am Anfang stand ein Urteil
Es ist so weit: Nach fünf Jahren Zwist und Zank wird am heutigen Freitag das Tarifeinheitsgesetz mit der Mehrheit der Großen Koalition im Bundestag beschlossen. Es könnte zum 1. Juli in Kraft treten, so ist es geplant.
Die große Auseinandersetzung begann, als sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2010 von seiner bisherigen Rechtssprechung verabschiedete. Die war jahrelang dem Grundsatz »Ein Betrieb - ein Tarifvertrag« gefolgt. Stritten sich mehrere Gewerkschaften, so galt der Tarifvertrag derjenigen, der besser auf den Betrieb passte, die Verhältnisse der Beschäftigten besser abbildete - das sogenannte Spezialitätsprinzip.
Doch damit war im Juli vor fünf Jahren Schluss. Fortan hieß es, in einem Betrieb könnten auch mehrere Tarifverträge für die gleichen Berufsgruppen nebeneinander gelten. Davon nicht begeistert, bildeten die Schwergewichte im Deutschen Gewerkschaftsbund, IG Metall, ver.di und die IG BCE, eine unheilige Allianz mit der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und forderten die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit. Während ver.di-Chef Frank Bsirske sich eine blutige Nase bei seiner Basis holte und letztlich entschuldigend die Dienstleistungsgewerkschaft als erste das Bündnis verließ, hielten die beiden anderen Gewerkschaften an der Regelung fest.
Mit der Großen Koalition nach den Bundestagswahlen im September 2013 fand der Wunsch nach einem Tarifeinheitsgesetz auch den offiziellen Eingang in die Politik. Die Gegner wetterten, demonstrierten, sammelten Unterschriften - genützt hat es alles nicht. Bleibt die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht, das das Gesetz noch kippen könnte; nicht wenige halten es als Eingriff in Streikrecht und Koalitionsfreiheit für verfassungswidrig und haben Klagen in Karlsruhe angekündigt.
Aber was heißt das alles? Was ist dieses »Tarifeinheit«, was die Koalitionsfreiheit? Und warum sind einige so vehement gegen das Gesetz? Auf diese Fragen will diese Seite einige Antworten geben.
Was ist dieses »Tarifeinheit«?
Tarifeinheit beschreibt das Prinzip »Ein Betrieb – ein Tarifvertrag«. Danach soll in einem Unternehmen nur eine Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen können. Dieses Rechtsprinzip wurde über Jahrzehnte von Arbeitsgerichten bestätigt, um sogenannte Tarifkollisionen zu vermeiden, also zu vermeiden, dass für eine oder einen Beschäftigten zwei Tarifverträge gelten könnten – oder dass für dieselbe Berufsgruppe mehrere Verträge gelten. Das Gegenteil der Tarifeinheit wäre die Tarifpluralität. Danach wäre es möglich, dass für Zugbegleiter bei der Deutschen Bahn, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, zwei Tarifverträge gelten; einer der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG und einer der Lokführergewerkschaft GDL. Die Unternehmen wollen Tarifpluralität vermeiden, weil sie andauernde Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe befürchten.
Blickt man jedoch auf die Luftfahrt, den öffentlichen Dienst oder in Krankenhäuser, wo gleich vier Gewerkschaften gemeinsam mit den Arbeitgebern verhandeln, wird schnell klar, dass die Tarifpluralität seit Langem gelebte Praxis ist.
Wer geht nach Karlsruhe?
Mehrere Gewerkschaften haben angekündigt, gegen das Tarifeinheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, weil sie es für grundgesetzwidrig halten. Der Deutsche Beamtenbund (dbb) will nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli klagen. Die Ärztegewerkschaft Marburger will zum »frühestmöglichen Zeitpunkt« – ebenfalls nach Inkrafttreten – nach Karlsruhe ziehen.
Das Problem: Wenn das Gesetz erst einmal in Kraft ist, kann bereits Schaden entstehen, sobald die Tarifverträge von kleineren Gewerkschaften verdrängt werden oder ihnen der Arbeitskampf verboten wird. Ein Gerichtsverfahren in Karlsruhe könnte Jahre dauern.
Die Vereinigung Cockpit will mit ihrem Rechtsvertreter Gerhart Baum dem Vernehmen nach schon vorher aktiv werden. Mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz könnten sie schon kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes am heutigen Freitag dafür sorgen, dass es gar nicht erst in Kraft tritt. Denn wenn die Karlsruher Richter dem Antrag stattgeben, müssen sie erst die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes prüfen, bevor es angewendet werden darf.
Wer ist betroffen?
Wenn das Tarifeinheitsgesetz wie geplant in Kraft tritt, könnte es theoretisch sehr viele Beschäftigte betreffen. In erster Linie müssen die Mitglieder der kleinen Berufsgewerkschaften bangen, dass sie in ihrer Möglichkeit, neue Tarifverträge abzuschließen, empfindlich eingeschränkt werden.
Das Gesetz soll greifen, wenn eine sogenannte Tarifkollision besteht, also vergleichbare Tarifverträge über den gleichen Zeitraum für die gleiche Berufsgruppe gelten. Können sich die Gewerkschaften in dem Fall nicht einigen, gewinnt die Mehrheitsgewerkschaft. Betreffen könnte das besonders die GDL, die mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG bei der Deutschen Bahn äußerst zerstritten ist. Der Fall könnte auch in Bereichen von ver.di eintreten, beispielsweise in Zeitungsredaktionen, wo der Deutsche Journalistenverband (DJV) die Mehrheit hat. Doch bei der Dienstleistungsgewerkschaft geht man davon aus, dass der Fall, in dem die Mitgliedermehrheit festgestellt wird, nicht eintreten wird, weil es Kooperationsabsprachen oder Einigungen mit den anderen Gewerkschaften gibt.
Was sagen die Befürworter?
Die Befürworter des Tarifeinheitsgesetzes befürchten eine »Zersplitterung der Tariflandschaft«, wenn immer mehr Kleingruppierungen eigene Abkommen schließen. Zudem würde der Betriebsfrieden Schaden nehmen, wenn eine kleine Gruppe – wie etwa die Piloten bei der Lufthansa – Interessen durchboxen und nicht im Sinne der gesamten Belegschaft handeln. Das Gesetz würde demnach die Tarifautonomie stärken.
Die Hardliner in Politik und Wirtschaft machen auch kein Geheimnis daraus, dass ihnen zu viel gestreikt wird und sie deshalb Einschränkungen wollen. Es geht aber um einen knallharten Konkurrenzkampf innerhalb der Gewerkschaftsbewegung um Einfluss und Mitglieder. Das Gesetz wäre für die Großen ein einfacher Weg, die kleinen Gewerkschaften loszuwerden. Die Hälfte der DGB-Gewerkschaften befürwortet das Gesetz deshalb.
In der Bundesregierung ist das Tarifeinheitsgesetz Teil eines Koalitionshandels: Die SPD hat in den Koalitionsverhandlungen den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen können, dafür bekommt die Union das Tarifeinheitsgesetz.
Was sagen die Gegner?
Gesetzesgegner sind Berufsgewerkschaften wie die GDL, die Vereinigung Cockpit oder der Marburger Bund, aber auch die DGB-Mitglieder ver.di, GEW und NGG. In Grundgesetz Art. 9 ist die Koalitionsfreiheit geregelt. »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet«, heißt es darin. Wenn die (Minderheits-)Gewerkschaft nicht streiken darf, kann sie nicht für die Interessen ihrer Mitglieder eintreten. Damit ist die Koalitionsfreiheit eingeschränkt, das Gesetz also verfassungswidrig.
Den ausschließlichen Bezug des Gesetzes auf den Betriebsbegriff kritisiert z.B. ver.di. Arbeitgeber könnten theoretisch ihre Betriebe so zuschneiden, dass sich die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse ändern. Das könnte dazu führen, dass es zum einen mehr Tarifauseinandersetzungen gibt und zum anderen die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften zu Konflikten führt, die nicht im Sinne des Betriebsfriedens sind. Die Feststellung der Mitgliederzahlen im Betrieb erleichtert es den Arbeitgebern, im Arbeitskampf ihre Gegner einzuschätzen – ein Nachteil für die Gewerkschaften.
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