Chorgesänge, wo einst Tresortüren knarrten
Die alte Staatsbank in Weimar soll ein lichtdurchflutetes Haus für die Musik werden - die Bauherren haben auch sonst große Pläne
Im Berliner Adlon-Hotel war sie 1905 der letzte Schrei: eine so genannte Lichtrufanlage. Mittels farbiger Glühbirnen wurden Signale an die Angestellten des Hauses gesendet. Das thüringische Weimar besitzt eine solche Anlage noch: Sie hängt in der ehemaligen Staatsbank Weimar. Das Gebäude in der Steubenstraße, 200 Meter vom Frauenplan entfernt, wird bis 2017 umgebaut. Ein lichtdurchflutetes Haus für die Musik soll entstehen: Drei große Glaskuppeln schützen das Haus von oben. »Ganz oben gibt es dann Wohnungen, dazwischen Büros und Gewerbe und im Erdgeschoss Musik, Tagungen und Veranstaltungen«, sagt Anselm Graubner von der Heyge-Stiftung. »Teile des Lichtrufsystems wollen wir auf jeden Fall erhalten, auch wenn das Ganze im Zeitalter der Funktelefone nutzlos ist.«
Bereits Ende Mai soll »ScholaCantorum«, der preisgekrönte Kinder- und Jugendchor Weimars, die ehemalige Schalterhalle zum Klingen bringen. Das wünschte sich die Eigentümerin und Bauherrin Lorna Heyge (73), die vor drei Jahren mit ihrem Mann aus den USA nach Weimar zog. Der Umzug war keine spontane Entscheidung. Lorna Heyge besuchte bereits in den 1960ern Weimar, damals war sie Austausch-Studentin in Köln. Ihr Ehemann stammt aus Ilmenau. Gemeinsam gingen sie nach North Carolina, reisten aber immer wieder nach Europa. Heyges Leben war eng mit der Musik verbunden: sie erfand in den USA den »Musikgarten«, eine frühmusikalische Pädagogik für Kinder. Die ehemalige Organistin und Musikpädagogin gründete die »Heyge-Stiftung« und kaufte 2013 die ehemalige Staatsbank. Das Gebäude bringt eine schwere Last mit: Zum einen wirkt der dunkelgraue Bau monolithisch, fast wie eine Burg ohne Berg. »Es ist ein ganz schön großer Kasten im innerstädtischen Bereich mit 440 Fenstern« so Graubner.
Zum anderen ist da die Geschichte des Bankgebäudes, das 1894 im neoromanischen Stil errichtet wurde.Viele Jahrzehnte war das Haus mit den Tresoren und Schließfächern über zwei Keller-Stockwerke ein Hort des Geldes, ab 1923 als Zentrale der Thüringischen Staatsbank. Von hier aus lief damals die Bargeldversorgung für ganz Thüringen, gleichzeitig entwickelte sich das Massengeschäft mit Spar- und Girokonten.
1943 dann tagten monatlich die Nationalsozialisten in der Thüringer Staatsbank. Im Sitzungssaal im Dachgeschoss organisierten sie die Kriegswirtschaft, die Konzentrationslager und Enteignungen von Juden. »Man wird ja die Geschichte nicht los. Wir wollen uns damit auseinandersetzen und versuchen, den Ort zu heilen«, sagt Graubner. 1949 hieß die Weimarer Adresse »Deutsche Notenbank«. 1950 ging das Gebäude in Volkseigentum über, im Grundbuch stand dann als Eigentümer »Staatsbank der DDR«. Bis zu 100 Millionen DDR-Mark und fast die gleiche Summe Westgeld lagerten damals in den Tresorräumen mit umlaufendem Gang. Die Tresore galten dadurch als besonders sicher.
Mit der Wende kamen die Deutsche Bundesbank und die Dresdner Bank, die einige Umbauten und die Erneuerung der Lichtkuppeln übernahmen. Bis 1997 floss viel Geld in die Sanierung, danach fuhr man eher auf Verschleiß. Zuletzt hantierte die Commerzbank dort mit Noten - bis 2012.
Nun also von der Banknote zur Musiknote: »Es wird ein akustisches Experiment, wenn die ehemalige Schalterhalle plötzlich als Proben- und Konzertsaal dienen soll. Wir singen erst einmal, hören und messen«, erklärt Graubner. »Danach werden wir sehen, wie wir baulich mit dem Schall umgehen müssen. In jedem Fall werden wir viel Holz verwenden - Holz klingt gut, das weiß jeder Geigenbauer.«
Das Haus hat großes Potenzial, vor allem für einen bunten Nutzungs-Mix, einer Kombination aus Wohnen, Gewerbe und Gemeinnutz. Das erwirtschaftete Geld soll die kulturelle Arbeit der Stiftung dauerhaft finanzieren. Mit dem Architekten Jörg Weber, der die unterschiedlichen Ansprüche unter einen Hut bringen muss, hat Graubner gute Erfahrungen gemacht. 2013 gab es für Graubners ökologisches Familienhotel in Weimar, auch aus der Hand von Weber, gleich zwei Preise: den Thüringer Holzbaupreis und den Tourismuspreis.
Nun restauriert der Architekt also ein Baudenkmal. Es birgt zwei ungeschliffene Juwelen der Innenarchitektur und der Technik: den ehemaligen Sitzungssaal im Dachgeschoss mit originalem Mobiliar aus dem Jahr 1932 sowie einen im Treppenhaus frei stehenden Aufzug von 1926. Für diesen gibt es sogar Fördermittel vom Landesdenkmalamt - er ist einer der ältesten Aufzüge Thüringens.
Mit 6000 Quadratmetern sehr unterschiedlich genutzter Fläche, der zentralen Adresse und den bauhistorischen Unikaten hat die »Notenbank« gute Chancen, ein unkonventioneller Ort im eher beschaulichen Weimar zu werden.
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