Selbstgerecht statt gerecht
TV-Tipp: »Die Folgen der Tat« (ARD) - Julia Albrecht und der RAF-Terror in ihrer Familie
Es war ein heißer Sommertag, dieser 30. Juli 1977. In Hamburg hatten die Sommerferien begonnen und die dreizehnjährige Julia Albrecht kam mit ihren Eltern von einem Abendessen nach Hause, gerade als das Telefon klingelte. Der Vater nahm ab und vernahm schweigend, was geschehen war. Seit diesem Tag würde alles anders sein im Leben der Familie Albrecht. Julias ältere Schwester Susanne hatte sich bei den Freunden der Familie, Julias Patenonkel Jürgen Ponto, dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank, mit zwei Freuden zu einem nachmittäglichen Besuch angekündigt. Es passte zwar nicht ganz, die Pontos wollten für längere Zeit verreisen, die Fensterläden des Hauses waren schon geschlossen, doch für die Tochter von engen Freunden nahm man sich die Zeit. Susanne Albrecht kam in Begleitung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Jürgen Ponto führte den Besuch, der ein Entführungs- und Mordkommando der RAF war, ins Wohnzimmer, man wechselte einige Begrüßungsworte, dann zogen Klar und Mohnhaupt Pistolen. Minuten später war Ponto tot. »Ihr seid ja verrückt« hatte er noch gesagt.
Fortan begegnete Julia Albrecht ihrer Schwester Susanne auf RAF-Fahndungsplakaten. Die Schwester selbst aber blieb verschwunden. War sie vielleicht längst tot? Die Familie wusste es nicht. Plötzlich war der Hamburger Anwalt für internationales Seerecht Hans-Christian Albrecht Vater einer RAF-Terroristin, die Familie eine »Täterfamilie«. 1990 tauchte Susanne Albrecht wieder auf - in Berlin Marzahn, hatte eine neue DDR-Identität bekommen, eine eigene Familie, ein Kind. Julia Albrecht erfuhr, dass Susanne, der dunkle Schatten über ihrer Kindheit, sie längst vergessen hatte. Der Vater aber, der sich all die Jahre immer wieder fragte, warum seine Tochter Susanne nicht ihn erschossen habe, setzte sich hinter den Kulissen wieder für sie ein. Das Resultat: Anwendung der Kronzeugenreglung und zwölf Jahre Haft, von denen sie nicht einmal die Hälfte absitzen musste.
Ist der Fall damit erledigt? Für Julia Albrecht nicht. Sie wollte den Hass der 68er auf die Elterngeneration verstehen, deren Gipfelpunkt der RAF-Terror war. Entstanden ist ein filmisches Familienselbstporträt in Zeiten des inneren und äußeren Ausnahmezustands. Gemeinsam mit der Tochter von Jürgen Ponto schrieb sie bereits ein Buch darüber, nun läuft am Mittwoch in der ARD der Film »Folgen der Tat«. Vor allem wollte Julia Albrecht darin ihre Schwester Susanne befragen. Aber die verweigerte sich. Nun stehen die Mutter Christa Albrecht, geboren 1926, und der ältere Bruder Matthias im Mittelpunkt des Films. Man sieht und hört sie sprechen und versteht immer weniger. Die Mutter kommt aus einer Offiziersfamilie im Umfeld des Widerstands gegen Hitler. Sie hatte nach dem Krieg Bibliothekarin gelernt und dann Orientalistik studiert. Sie kannte die Texte von Alexander Mitscherlich, von Adorno und Freud. Nun setzt sie sich vor der Kamera den Fragen ihrer jüngsten Tochter aus, die oft so harsch klingen, als sei dies ein Verhör und die Mutter die Angeklagte, der ihre jüngste Tochter die »Erziehungskompetenz« absprechen wolle.
Aber Christa Albrecht lässt es sich nicht anmerken, nimmt sogar den Vorwurf der »militanten Naivität« hin, der den Vater treffen soll, als dieser noch vor dem Mord an Jürgen Ponto versuchte, seine Tochter Susanne vor einer weiteren politischen Radikalisierung zu bewahren. Er schreib einen - dann nicht abgeschickten - Brief an sie, in dem es heißt: »Liebe Susanne ... Manchmal glaube ich, daß du nur einen Fuß vor dem Abgrund stehst. ... Weder bist Du der Typ für Gewalt und Kälte des Verstandes. Noch kann man mit dieser Art von Gewalt etwas anderes erreichen als Gegengewalt.«
Die älteren Geschwister Julias gingen ins Ausland, weil sie nicht mehr mit dem Druck leben wollten, immer in Beziehung zur RAF gebracht zu werden. Nur die Eltern und Julia blieben in Hamburg. Man hört die kluge, lebens- und leiderfahrene Christa Albrecht, die hier um die Liebe ihrer jüngsten Tochter kämpft, die immer noch die Eltern unter Generalverdacht stellt. Wurden die Kinder nicht bei Tisch immer wieder ermahnt: Sitzt gerade! Sollten sie nicht im Tennis-Club Mitglied werden, was sie aber alle sofort sabotierten? Baute der Vater nicht einen Swimmingpool hinters Haus? Auschwitz ist gerade einmal zwanzig Jahre her und da baut jemand einen Swimmingpool!
Es waren die Wohlstandskinder West, die mit abstrakten Begriffen und einem moralischen Rigorismus bewaffnet, sich in die Richter-Rolle setzend, die Elterngeneration pauschal als Nazi-Mitläufer attackierten. Das Wort Autorität klang für sie schon autoritär. Wie bizarr, wie ungerecht dieser »Vatermord« war, das erfährt man in diesem sehr intimen Familienporträt über die »Blackbox BRD«.
ARD, 27.5., 22.45 Uhr
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