Hilfsorganisation fordert Neuausrichtung der Entwicklungshilfe
medico-Geschäftsführer Gebauer: Flüchtlingspolitik neu denken / Stärker die Ursachen in den Blick nehmen
Berlin. Kurz vor dem G-7-Gipfel kritisiert die Hilfsorganisation medico international die Entwicklungspolitik der Industriestaaten. Internationale Politik verkümmere zum Krisenmanagement, sagte Geschäftsführer Thomas Gebauer am Mittwoch bei der Vorstellung des medico-Jahresberichts in Berlin. In den meisten Fällen werde erst nach Katastrophen reagiert.
Bei der momentanen Flüchtlingskrise im Mittelmeer etwa müssten stärker die Ursachen in den Blick genommen werden, forderte Gebauer. Viele Menschen im Nahen Osten und Afrika verlören ihre Lebensgrundlage. Hilfssysteme stießen an ihre Grenzen und könnten die Menschen in Krisengebieten nicht ausreichend versorgen. Angesichts dessen sei es keine Lösung, lediglich Maßnahmen gegen Schleuser zu unternehmen und den Menschen ihren Fluchtweg über das Meer abzuschneiden. »Schleuser sind keine Gefahr, sondern der Ausdruck eines Mangels«, sagte Gebauer.
Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sei »in keiner Weise ausreichend«, kritisierte Gebauer. Er vermisse ein gutes Konzept zur Aufnahme von Flüchtlingen. Lediglich 20.000 Syrer aufzunehmen sei zu wenig. Deutschland könne nicht »immer auf dem Level des geringsten Widerstands« agieren, erklärte Gebauer.
Auch die Ebola-Epidemie in Westafrika ist nach den Worten des medico-Chefs ein »Beweis für Politikversagen«. Gebauer kritisierte in diesem Zusammenhang die Pläne der Vereinten Nationen, eine medizinische Einsatztruppe für Gesundheitskrisen zu schaffen. Eine geplante »Weißhelmtruppe« werde lediglich mit Nothilfe reagieren, statt Krisenprävention zu betreiben. Der medico-Chef schlug stattdessen die Einrichtung eines internationalen Gesundheitsfonds nach dem Vorbild des Länderfinanzausgleichs vor. Durch die Umverteilung finanzieller Mittel könnten die Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern aufgebaut werden.
Von den sieben wichtigsten Industrienationen (G-7), die sich am 7. und 8. Juni auf Schloss Elmau in Bayern beraten, forderte Gebauer vorausschauende Maßnahmen wie etwa eine Regulierung des sogenannten Landgrabbings. »Landgrabbing« bezeichnet den großflächigen Aufkauf von Agrarflächen in armen Ländern durch Privatinvestoren. Um den Hunger in Afrika zu stoppen, seien vor allem kleinbäuerliche Strukturen wichtig, sagte Gebauer.
Angesichts der zahlreichen Krisen des vergangenen Jahres verzeichnete medico international 2014 einen 14-prozentigen Anstieg der Spenden auf rund 4,4 Millionen Euro. Die Zuschüsse von öffentlichen Geldgebern seien hingegen von rund 5,4 Millionen auf 3,8 Millionen Euro gesunken. Die Hilfsorganisation fördert vor allem Projekte im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika. Rund zwei Millionen Euro seien in humanitäre Projekte in Israel und den Palästinensergebieten geflossen. Mit etwa 1,1 Millionen Euro wurde die syrische Bevölkerung im Bürgerkriegsgebiet unterstützt.
Die Hilfsorganisation besteht seit über 40 Jahren. Medico international ist mit 108 Projekten in Afrika, Asien und Süd- sowie Mittelamerika aktiv. epd/nd
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