Touristen verzweifelt gesucht
Der gesamte Reisetourismus in Nepal ist vorübergehend zusammengebrochen. Von Michael Lenz
Sind Sie ein Tourist?« Der Engländer in dem Ausrüstungsladen für Bergwanderungen in Kathmandus Touristenviertel Thamel lacht und sagt: »Nein, ich arbeite für eine Hilfsorganisation.« Vor dem von Tauben umflatterten Tempel Jana Bahal in Kathmandus Altstadt steht ein junger, blonder Mann in einem bunten Hemd, das sehr nach Urlaub aussieht. Aber auch der Amerikaner entpuppt sich als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Nächster Stopp ist der Everest Irish Pub in Thamel, Kathmandus Touristenviertel. Bei Whisky, Bier, Gin Tonic und Joe Cocker amüsieren sich am Tresen ein paar sehr blonde Norweger in blau-weiß-gestreiften T-Shirts. Pech. Auch die Skandinavier sind Erdbebenhelfer.
Touristen haben nach dem Erdbeben vom 25. April Nepal fluchtartig verlassen. Thamel mit seinen Cafés, Restaurants, Hotels, Andenken- und Trekkingläden, Reisebüros, Bars und Kneipen gleicht einer Geisterstadt. Allerhöchstens die Hälfte der Geschäfte, Gaststätten und Hotels sind geöffnet. Die engen, nach Patschuli duftenden Gassen sind nachts fast menschenleer. Die laute Musik aus dem Full Moon klingt wie das ängstliche Rufen im Dunkeln, so, als wollten sich die Nepalesen einreden, dass alles nur halb so schlimm ist. Ist es aber nicht.
Jetzt kommt der Monsun und das ist im Nepaltourismus sowieso die schlechte Saison. Aber auch für die Hochsaison von September bis Dezember sieht es schlecht aus. »Alle Buchungen wurden sofort nach dem Erdbeben storniert, auch die für die Hochsaison«, erzählt Henary Shrestra, Besitzer eines Reisebüros in Thamel. »Nach dem Erdbeben hatten wir zehn Tage geschlossen. Seitdem wieder offen ist, hatte ich noch keinen einzigen Kunden für eine Tour.« Shrestra organisiert Trekkingtouren und verkauft Flugtickets. Nebenbei betreibt er noch ein Internetcafé, inklusive Scan- und Kopierservice. »Damit verdiene ich noch etwas Geld, aber viel ist das nicht.«
Das Erdbeben hat dem Nepaltourismus einen schweren Schlag versetzt. Touristen bleiben weg, weil sie Angst haben oder weil sie glauben, nicht in einem Katastrophenland Urlaub machen zu können.
Viele touristische Ziele sind zudem nach dem Erdbeben nicht mehr zugänglich. Höchst populäre Trekkingrouten wie Manaslu, Ganesh Himal, Ruby Valley, Langtang und Rolwaling wurden zerstört. Der Mount Everest ist nach dem Tod von 19 Bergsteigern, die in einer durch das Erdbeben ausgelösten Lawine umgekommen sind, vorerst gesperrt.
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für das arme Nepal. 487 500 Jobs hängen an der Branche oder 3,5 Prozent aller Arbeitsplätze. Bergsteigen und Trekkingtouren sind die populärsten Angebote des Nepaltourismus, auf die 30 Prozent der jährlich über 800 000 Touristen abfahren. Der Anteil des Tourismus an der Volkswirtschaft des Himalajastaates betrug im vergangenen Jahr 4,3 Prozent. In diesem Jahr sollten es 5,4 Prozent werden. Daraus wird aber eher nichts.
Betroffen von dem Zusammenbruch des Tourismus sind Spitzeneinkommengenerierer wie der Mount Everest als auch Kleinstunternehmen. Von den 3,9 Millionen Dollar Klettergebühren, die der nepalesische Staat für die Besteigung der 7000, 8000 Meter hohen Gipfel des Himalaja jährlich kassiert, bringt der höchste Berg der Welt alleine 3,5 Millionen. Leidtragende sind aber auch Miniunternehmer wie Sajay Pamang in dem Dörfchen Kuttal. Pamang bot »Homestay« an, also wohnen und leben für ein paar Tage in einem nepalesischen Dorf bei einer nepalesischen Familie. Mit dem Geschäft ist es vorbei. Sein Haus liegt in Trümmern.
Für einige aber geht das Geschäft nicht trotz, sondern wegen der Krise weiter. In dem Städtchen Chautara in Zentral-Nepal im Distrikt Sindhupalchok haben internationale Hilfsorganisationen ihr Basislager aufgeschlagen. Hier organisieren und koordinieren sie ihre Einsätze in dem vom Erdbeben besonders stark betroffenen Distrikt - sehr zur Freude der lokalen Geschäftswelt.
Die Spezialität des Sun Koshi Beach Resort am Sun-Koshi-Fluss in Sindhupalchok, sind Wildwassertouren. Die Campingzelte der Anlage sind komplett ausgebucht. »Bei uns haben sich Mitarbeiter einer Hilfsorganisation aus Korea eingemietet«, freut sich Manager Sunil Padh. Aber auch Padh sieht mit Sorge auf die Zeit nach den Koreanern. »Alle Buchungen für die Hauptsaison wurden storniert.«
In Thamel leidet jeder unter der totalen Flaute. »Unser Geschäft lässt von Tag zu Tag nach«, erzählt Suzan, der im Teeladen seines Onkels jobbt. Bei einer Tasse Ilam Golden Tip, einem nepalesischen Spitzentee, sagt der 19-Jährige: »Es kommen nur noch ein paar Einheimische in den Laden und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen.« Dann aber sagt Suzan etwas erstaunliches: »Mitarbeitern von Hilfsorganisationen geben wir aus Dankbarkeit für ihre Hilfe einen kleinen Rabatt.«
Obwohl, so erstaunlich ist das in Nepal nun wieder nicht. Die Nepalesen sind ungeheuer freundliche, gastfreundliche Menschen, die gerne teilen, auch wenn sie selbst nicht viel haben. »In unserer Tradition sind Gäste wie Götter, die man gut behandelt«, sagt Ramesh Giri glaubhaft, obwohl er als Verkaufsmanager des Hotel Manang in Thamel von Berufs wegen verpflichtet ist, die nepalesische Gastfreundschaft zu preisen.
Wie geht es weiter mit dem Nepaltourismus? Am optimistischsten ist Giri, dessen Hotel in den ersten Wochen nach dem Beben durch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalisten fast ausgebucht war. »Die reisen langsam ab. Aber wir bekommen schon wieder Internetbuchungen vor allem aus China. Im Juni und Juli kommen zudem indische Pilger zum Kailash Mansarovar Yatra.«
Für Anil Chandra, Inhaber eines Ladens für Trekking- und Bergsteigerausrüstung in Thamel, ist die Tourismuskrise nur eine kleine Delle. »Katastrophen passieren auch in anderen Ländern. Daran sind Touristen inzwischen gewöhnt. Spätestens zur Hochsaison ist alles wieder beim Alten.«
Ram Chandra, der seit 15 Jahren bei Wind und Wetter mit seiner mit roten Plastikmohnblumen geschmückten Fahrradrikscha Touristen durch Kathmandu kutschiert, hat jedoch die Hauptsaison 2015 abgeschrieben. »Die Touristen kommen frühestens nächstes Jahr wieder.« Das verdirbt dem 53-Jährigen aber nicht die gute Laune. »Wissen Sie, wie Europäer unsere Rikschas nennen?«, fragt Ram Chandra. »Nepalesische Hubschrauber.« Nepalesen haben Sinn für Humor und - noch besser - können auch über sich selbst lachen.
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