Kommt eine Zwischenlösung für Griechenland?
Bündelung der IWF-Rückzahlungen oder Verlängerung des Kreditprogramms erwogen / Berlin kennt Athener Vorschlag nicht - trotzdem skeptisch / Athen für Primärüberschussziel von 0,8 Prozent
Update 21.15 Uhr: Mit einem Spitzengespräch haben Griechenland und die EU-Kommission versucht, den Weg für eine Lösung im Streit um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm zu finden. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras kam am Mittwochabend in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen. Athen vermeldete vor dem Treffen ein Entgegenkommen der Hauptgläubigerstaaten Deutschland und Frankreich. Juncker und Tsipras äußerten sich bei ihrer Begrüßung nicht, für die Fotografen gab es ein Händeschütteln, Juncker klopfte Tsipras auf die Schulter. Die EU-Kommission ging im Vorfeld des Treffens nicht davon aus, dass dieses bereits einen Durchbruch bringen würde. »Wir erwarten kein abschließendes Ergebnis heute Abend«, sagte ein Sprecher Junckers. »Das ist eine erste Diskussion und keine abschließende.«
Vor dem Treffen in Brüssel telefonierte Tsipras mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande. Beide hätten die »Notwendigkeit« zugestanden, die Ziele für den griechischen Primärüberschuss zu senken, hieß es kurz vor dem Brüsseler Treffen aus Regierungskreisen. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte das Telefongespräch, wollte sich aber nicht zum Inhalt äußern.
Angesichts akuter Geldnot in Athen werden nun offenbar auch Zwischenlösungen erwogen, um Zeit zu gewinnen. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, hieß es am Mittwoch in Brüssel aus EU-Kreisen. Es gehe beispielsweise darum, die im Juni fälligen Kreditraten von insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu bündeln. Eine andere Möglichkeit sei ein Verlängern des Ende Juni auslaufenden Kreditprogramms über den Sommer hinweg. Bei einer nochmaligen Verlängerung müssten die Eurogruppe und beteiligte Parlamente in den Eurostaaten, also auch der Deutsche Bundestag, zustimmen. Die erste Zahlung in diesem Monat an den IWF steht bereits am Freitag an, dann sind rund 305 Millionen Euro fällig. Athen muss zusätzlich im laufenden Monat fällige Staatsanleihen von gut 5 Milliarden Euro bedienen.
Update 16.45 Uhr: Frankreichs Staatschef François Hollande hat sich zuversichtlich gezeigt, dass im Streit um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland alsbald eine Lösung gefunden werde. »Wir sind einige Tage, wenn nicht sogar einige Stunden von einer möglichen Klärung entfernt«, sagte Hollande am Mittwoch bei einer OECD-Konferenz in Paris. Eine Vereinbarung dürfe nicht »zu viel von Griechenland verlangen«, um das Wachstum nicht abzuwürgen, aber auch nicht »nichts oder nicht genug«, denn dies hätte Konsequenzen für die gesamte Eurozone. Hollande erinnerte daran, dass der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwochabend mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel sprechen wollte. Hollande brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass es ein Anliegen der europäischen Länder sei, diese Verhandlungen einfacher zu machen.
Update 16 Uhr: Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt sich für einen Verbleib Griechenlands im Euroraum ein. »Der EZB-Rat will, dass Griechenland im Euro bleibt«, betonte Notenbank-Präsident Mario Draghi am Mittwoch in Frankfurt. Notwendig sei aber ein solides Abkommen mit Athen. »Wir brauchen eine glaubwürdige Perspektive für einen erfolgreichen Abschluss der laufenden Überprüfungen.« Es gebe »einen großen Willen und eine starke Entschlossenheit, dass wir am Ende ein gutes Ergebnis finden. Daran arbeitet die EZB und daran arbeiten auch die EU-Kommission und der IWF«, sagte Draghi.
Update 14.20 Uhr: Die dpa meldet, »Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beurteilt den Vorschlag der griechischen Regierung zur Lösung der Schuldenkrise skeptisch. Sein Sprecher Martin Jäger sagte am Mittwoch in Berlin, er kenne den Vorschlag aus Athen noch nicht.« Aber nach allem, was bisher zu hören sei, dränge »sich der Eindruck auf, dass diese Liste nicht die letzte Lösung des Problems sein wird«. Der Vorschlag sei überraschend gekommen, nachdem man Monate lang darauf gewartet habe. Relevante Gesprächsgrundlage sei der gemeinsame Vorschlag der drei Gläubigerinstitutionen. Schäuble selbst sagte, er könne den Optimismus der griechischen Regierung über eine mögliche Einigung nach wie vor nicht teilen. Er habe bisher keine Informationen, dass sich daran substanziell und etwas Entscheidendes geändert habe. Was er bisher über das Vorschlagspapier aus Athen gehört habe, ändere an dieser Aussage nichts: »Es bestätigt sie eher.«
Update 14 Uhr: Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hat vor den anstehenden Gesprächen über die Athener Schuldenkrise vor einer Spaltung Europas gewarnt. Er sagte am Mittwoch in Athen: »Wir müssen eine Spaltung verhindern.« Er sei sich aber »sicher, dass die europäische Führung tut, was getan werden muss«. Tsipras äußerte sich vor seiner Abreise nach Brüssel, wo er am Abend mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammentreffen sollte. Tsipras wollte dabei seinen Reformplan vorstellen. Der Plan werde Griechenland einen »Ausweg aus dem wirtschaftlichen Ersticken ermöglichen, Raum für Erholung schaffen und Grexit-Szenarien beenden«, sagte Tsipras mit Bezug auf einen drohenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Von den Gläubigern habe er aber noch keine Antwort erhalten.
Update 12.15 Uhr: Vertreter der Bundesregierung haben ihre Position bekräftigt, eine Einigung in den Verhandlungen um das blockierte Kreditprogramm hänge allein von Griechenland ab. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD sagte, »viel Spielraum ist nicht da«. Er verwies auf das von den Gläubigern vorgelegte Angebot für eine Einigung. »Es hängt jetzt von Griechenland ab«, fügte er hinzu. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU äußerte erneut Kritik an der griechischen Regierung: »Europa baut auf gegenseitigem Vertrauen auf«, sagte der CDU-Politiker der »Wirtschaftswoche«. Damit müsse »man vernünftig umgehen, das macht die aktuellen Verhandlungen mit Griechenland so anstrengend«. SYRIZA sei es im Wahlkampf gelungen, »den Griechen einzureden, es gäbe einen einfacheren Weg, im Euro zu bleiben - und zwar ohne große Reformanstrengungen, die doch eigentlich im Interesse Griechenlands liegen. Das hätte man vielleicht nicht so versprechen sollen.« Schäuble wies überdies Darstellungen zurück, er vertrete gegenüber Griechenland einen härteren Kurs als Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU). »In der Frage, was die richtige Lösung für Griechenland ist, sind die Kanzlerin und ich völlig einer Meinung«, sagte er und verwies darauf, dass er schon »viel Kraft und Engagement« in die Griechenland-Rettung gesteckt habe. Als Beispiel nannte er den Schuldenschnitt 2012. »So viel zu meiner Rolle als 'harter Hund' gegenüber Athen.«
Update 10 Uhr: Was ist bisher über den Plan der griechischen Regierung bekannt, der am Mittwochabend mit EU-Kommissionschef Juncker besprochen werden soll? In der griechischen Presse sind am Mittwoch einige wesentliche Punkte durchgesickert.
Primärüberschuss: Athen schlägt für 2015 0,8 Prozent vor. Damit soll der Regierung die Möglichkeit gegeben werden, Gelder für soziale Zwecke auszugeben und etwas zu investieren, damit Arbeitsplätze geschaffen werden. 2016 soll der Primäre Überschuss dann wieder auf 1,5 steigen.
Mehrwertsteuer: Die heutigen Sätze von 6, 5, 13 und 23 Prozent sollen durch Sätze von 6, 11 und 23 Prozent ersetzt werden. Dabei soll der Bereich Hotellerie/Tourismus künftig mit 11 statt 6,5 Prozent besteuert werden. Damit soll ab kommender Saison die wichtigste Einkommensquelle Griechenlands, der Tourismus, stärker angezapft werden. Zudem soll der Steuervorteil der Inseln der Ägäis von 30 Prozent gegenüber dem Festland wegfallen.
Immobiliensteuer: Die von SYRIZA im Wahlkampf versprochene Abschaffung der umstrittenen Steuer fällt aus. Auf diese Weise kann mit zusätzlichen Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gerechnet werden.
Renten: Es soll keine Rentenkürzungen geben. Um Ausgaben zu senken, ist Athen bereit, einer Fusion aller Rentenkassen zuzustimmen.
Privatisierungen: Die SYRIZA-geführte Regierung lehnt nicht mehr alle Privatisierungen ab. Allerdings gibt es starken Widerstand vom linken SYRIZA-Flügel und im Parlament.
Tsipras stellt Athens Plan bei Juncker vor
Berlin. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras wird am Mittwochabend in Brüssel erwartet, um bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den am Dienstag bekannt gewordenen Plan der SYRIZA-geführten Regierung vorzustellen.
Dieser soll 47 Seiten umfassen und »realistische« Vorschläge enthalten, um das Land aus der Krise zu führen. Details wurden nicht bekannt, wohl aber machte der SYRIZA-Chef klar, dass darin auch Zugeständnisse formuliert sind, »die schwierig sein werden«.
Die Gläubiger wollten sich bislang zu den Vorschlägen aus Athen nicht äußern. Es gebe viele Dokumente, die zwischen Griechenland und seinen Gläubigern ausgetauscht würden, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Dienstag. Dazu gehört nun auch ein Kompromissvorschlag der »Institutionen« - also IWF, EZB und EU-Kommission. Diese haben, unter anderem bei einem Mini-Gipfel am Montagabend im Berliner Kanzleramt, ihre Differenzen offenbar überwunden und sich auf einen Vorschlag für eine Vereinbarung mit Griechenland verständigt.
»Institutionen« legen Mittwoch Vorschlag für Athen vor
Eurogruppe will keine Konzessionen machen / Tsipras: Athen hat Gläubigern Reformplan vorgelegt / EU will sich nicht zum griechischen Vorschlag äußern - 47 Seiten von der SYRIZA-Regierung vorgelegt - der Newsblog vom Dienstag zum Nachlesen
Beobachter hatten aufmerksam registriert, dass IWF-Chefin Lagarde länger im Kanzleramt weilte als die anderen Teilnehmer. Zuvor war der Eindruck entstanden, der IWF wolle nicht länger Teil des Kreditprogramms sein und fahre eine härtere Linie gegenüber Athen. Dagegen hatte es Signale gegeben, dass die EU-Kommission eine kompromissbereitere Strategie bevorzugt. Schließlich zeugte die Reaktion von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem nicht gerade von größtem Einvernehmen der Gläubiger - er lehnte erneut Konzessionen ab (»Wir werden ihnen nicht auf halbem Weg entgegen kommen«) und pochte vehement darauf, dass selbst bei einer Einigung der »Institutionen« IWF, EZB und EU-Kommission mit Athen diese erst von der Eurogruppe bestätigt werden müsse. Es sei, zog Dijsselbloem, der beim Berliner Mini-Gipfel außen vor blieb, rhetorisch die Bremse, »nicht einmal theoretisch möglich«, dass noch diese Woche eine Vereinbarung mit Griechenland möglich ist. Ein EU-Vertreter hatte hingegen erklärt, es gebe nun »einen klaren politischen Druck, diese Woche zu einer Einigung zu kommen«.
Auch das Papier der Gläubiger soll am Mittwoch vorgestellt werden, unklar war noch, ob es eine Telefonkonferenz mit SYRIZA-Premier Alexis Tsipras geben oder ob ein persönliches Treffen arrangiert wird. Da nun der griechische Ministerpräsident nach Brüssel kommt, könnte die gegenseitige Vorstellung der Pläne dort geschehen.
Bis zuletzt hatte es zwischen IWF, EZB und EU-Kommission Uneinigkeit über die Höhe des angepeilten Primärüberschusses Griechenlands gegeben. Dieser bezeichnet das Plus im Staatshaushalt vor Zinsen für den Schuldendienst. Anders gesagt: Primärüberschuss = Staatseinnahmen minus Staatsausgaben ohne Zinszahlungen. Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, weil sie auch den politischen Spielraum der Regierung in Athen mitbestimmt. Wie zu vernehmen ist, hat der IWF auf einen Primärüberschuss von vier bis fünf Prozent gedrängt - die EU-Kommission strebte einen Überschuss von einem Prozent an, was Athen deutlich stärker entgegenkommen würde.
»Spiegel online« meldet, die Position der EU-Kommission habe »es offenbar in das aktuelle Papier geschafft«. In der »Frankfurter Allgemeinen« heißt es, »dem Vernehmen nach haben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi in Berlin darauf gedrungen, Athen in dieser Frage entgegenzukommen«. IWF-Chefin Christine »Lagarde habe dagegen auf die ökonomischen Folgen eines solchen Entgegenkommens aufmerksam gemacht«.
Aus Athen hieß es am Dienstag nach den ersten Berichten über einen »allerletzten Vorschlag« der Gläubiger, man habe noch keinen Vorschlag erhalten. »Wir werden sehen, was das für Maßnahmen sind und ob sie zugunsten der Bevölkerung sind oder nicht«, sagte SYRIZA-Fraktionssprecher Nikos Filis.
Am Dienstag hatte »Bild«-Zeitung Stimmung gegen das Verhältnis zwischen Tsipras und Juncker gemacht, der eine kompromissbereitere Linie gegenüber Athen verfolgt. Das Blatt geht den Luxemburger mit den Worten an: »Also noch mehr Milliarden für seinen Freund«, Griechenlands Ministerpräsident Tsipras, »den er beim letzten EU-Gipfel so herzlich umarmt hatte!« Das »Kalkül« Junckers sei es, »aus Furcht vor sozialen Unruhen sind die EU-Staaten eher bereit, neue Gelder für Athen lockerzumachen als die bisherige reine Schuldenhilfe«. Junckers Kabinettschef Martin Selmayr habe erklärt, das bisherige Kreditprogramm habe sich »als unrealistisch und als sozial nicht ausgewogen herausgestellt«. Schließlich habe die griechische Bevölkerung »einen hohen Preis« für die Reformen gezahlt. »Bild« dazu: »Das klingt genauso wie Griechen-Pemier Tsipras!«
Aus dem laufenden Programm erwartet Athen noch ausstehende Kredite und EZB-Zinsgewinne in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Diese werden von den Gläubigern nicht freigegeben, solange Athen nicht bestimmte Bedingungen erfüllt - eine politische Blockade. Über diese gibt es seit Wochen Streit, da auch die Gläubiger unterschiedliche Linien verfolgen. Die Zeit wird allerdings knapp, da Griechenland das Geld ausgeht: Athen muss bis zum 5. Juni 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen. Insgesamt sind im Juni etwa 1,55 Milliarden Euro beim IWF fällig. Seit August 2014 hat Athen keine Auszahlungen aus dem laufenden und bis Ende Juni 2015 verlängerten Kreditprogramm erhalten. Die Gläubiger pochen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen will. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.
Der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer hat derweil die Gläubiger Griechenlands zu Kompromissbereitschaft aufgerufen. »Der griechische Patient befindet sich unmittelbar vor dem Herzstillstand«, sagte Schäfer der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch mit Bezug auf die bis Freitag notwendige Rückzahlung an den IWF. »Das Schicksal Griechenlands hängt am seidenen Faden«, sagte der SPD-Fraktionsvize. »Wer die Stabilität des Euro am Ende von einer 300-Millionen-Euro-Überweisung an den IWF abhängig macht, setzt leichtfertig die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfestigkeit der Europäischen Union aufs Spiel.« Schäfer forderte auch die griechische Regierung zu Kompromissen auf. »Auch die Regierung in Athen muss endlich erkennen und akzeptieren, dass sie auf die Unterstützung der Partnerländer angewiesen ist.«
Die EU-Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht am Mittwochvormittag Zahlen zur Arbeitslosigkeit im April. Im März hatte die Arbeitslosenquote wie schon im Vormonat bei 11,3 Prozent gelegen. Besonders in Griechenland und Spanien sind seit Jahren viele Menschen ohne Job. Agenturen/nd
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