Wut und Verständnis: Der Streik ist ausgesetzt
Ab nächste Woche Schlichtung bei Sozial- und Erziehungsdiensten
Ab Montag wird in kommunalen Kitas, Jugendeinrichtungen, Sozialämtern oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung wieder gearbeitet. Am frühen Donnerstagmorgen waren die Gespräche zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie dem Deutschen Beamtenbund (dbb) und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) nach dreitägigen Verhandlungen erneut gescheitert.
Sichtlich gezeichnet von den Gesprächen traten ver.di-Chef Frank Bsirske und der VKA-Präsident Thomas Böhle vor die Presse als über Berlin bereits die Sonne aufging. Die VKA beantragte die Schlichtung. Damit liefen Fristen an: In der Schlichtungsvereinbarung gibt es einen Einlassungszwang, das heißt, binnen drei Tagen müssen die Gewerkschaften sich äußern, ab dann gilt die Friedenspflicht. Spätestens sechs Werktage nach Anrufung der Schlichtung muss die Kommission, bestehend aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und den von beiden Seiten bestimmten Schlichtern zusammentreten. Auf Gewerkschaftsseite wird das Hannovers Ex-Bürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) sein. Der Schlichter der VKA war zunächst noch nicht bekannt, wird aber der Kommission dann vorsitzen. Dieses Amt wechselt von Mal zu Mal. Auf Basis des Schlichtungsergebnisses wird dann wieder verhandelt.
Das Ende der Streiks hat schnell Diskussionen ausgelöst. »Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ohne konkrete Zugeständnisse den Streik zu beenden«, so die Reaktion eines Streikenden in Hessen in einem sozialen Netzwerk. »So langsam verliert man die Hoffnung auf ein gutes Ende für alle Beteiligten«, lautete die Reaktion einer anderen Kollegin. »Hoffen wir mal das Beste«, meint eine dritte am Chat beteiligte Erzieherin.
Da in Hessen wie in fünf anderen westlichen und südlichen Bundesländern von Nordrhein-Westfalen bis Bayern am Donnerstag mit dem Fronleichnamstag Feiertagsruhe herrschte, gab es hier auch Ruhe an der Streikfront. Somit waren in einem Gebiet vom Münsterland bis hinter München keine Streikversammlungen anberaumt, bei denen die Streikenden die Chance gehabt hätten, die neue Lage zu bewerten.
Zwar hat der zurückliegende vierwöchige Arbeitskampf den Aktivisten viel Kraft und Energie abverlangt. Aussagen wie »Wir wollen gerne wieder arbeiten, aber dazu muss erst ein akzeptables und verhandlungsfähiges Angebot vorliegen«, waren in den vergangenen Tagen der Grundtenor bei vielen Streikenden. Dass die Aktivisten aber noch längst nicht ermattet waren und kein direkter Sachzwang bestand, um sich ab sofort passiv in die Hände und Obhut der Schlichter zu begeben, wird auch an den Großdemonstrationen mit zehntausenden TeilnehmerInnen in dieser und letzter Woche deutlich. Schlichter Schmalstieg äußerte sich am Donnerstag gegenüber dpa optimistisch: »Da werden wir schon was bewegen«, zitierte die Nachrichtenagentur den Sozialdemokraten.
Derweil musste sich Bsirske in Frankfurt am Main der Kritik der Streikdelegierten aus dem gesamten Bundesgebiet stellen. Die diskutierten die neue Entwicklung. Unmutsäußerengen waren zu hören, Enttäuschung wurde geäußert, Bsirske »Wortbruch« vorgeworfen. Eine Erzieherin aus Nordrhein-Westfalen schilderte gegenüber »nd« wie viele Kolleginnen im aktiven Streik Selbstbewusstsein entwickelt hätten und »über sich selbst hinausgewachsen« seien. »Wenn wir einknicken würden, dann wäre es gelaufen und genau das wollen wir nicht«, so eine andere Teilnehmerin.
Bsirske und die hauptamtlichen Fachbereichsleiter aus den Landesbezirken hatten alle Hände voll zu tun, um den Anwesenden ihren Standpunkt und die aus ihrer Sicht bestehende Notwendigkeit der Schlichtung zum jetzigen Zeitpunkt zu vermitteln: »Die Öffentlichkeit hätte kein Verständnis gehabt, wenn wir die Schlichtung nicht angenommen hätten«, so Bsirske. »Mit der Schlichtung ist die Auseinandersetzung noch längst nicht zu Ende«, brachte es ein anderer Redner auf den Punkt. So griff Bsirske zum Ende der mehrstündigen Debatte den Wunsch der Delegierten nach Fortsetzung der Kampagne auch nach einer Aussetzung des Arbeitskampfes auf. Er lobte das »Signal der Ent- und Geschlossenheit« an der Streikfront und das gewachsene Selbstwertgefühl der Erzieherinnen. Bis zu einem für Ende übernächster Woche erwarteten Schlichterspruch soll die Mobilisierung auch ohne Streik in Form von Mahnwachen vor Rathäusern, Aufklärungskampagnen, Elternversammlungen und drei Großdemonstrationen mit DGB-Unterstützung weiter gehen.
Es gab auch harsche Kritik an der VKA. »Wirklich verhandelt« habe die VKA nicht, sagte etwa Willi Russ, zweiter Vorsitzender und im dbb-Vorstand für die Tarifpolitik zuständig. Die VKA habe »gebetsmühlenhaft wiederholt, dass sie weder bereit ist, bei den Erzieherinnen und Erziehern im nennenswerten Umfang Verbesserungen zu vereinbaren, noch überhaupt ein Angebot für die Sozialarbeiter sowie Sozialpädagogen vorzulegen«. Die Bundestarifkommission der GEW will sich am Freitag treffen, um das weitere Vorgehen zu beraten. »Zäh und anstrengend« seien die Verhandlungen gewesen, sagte GEW-Sprecher Ulf Rödde gegenüber »nd«. »Die VKA hat ihre Linie von Anfang an weiterverfolgt. Das war insgesamt nicht kompatibel.«
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