In den Schoß gefallen

Bei der OB-Wahl in Freiberg kam die LINKE auf ungewöhnliche Weise zu ihrem Bewerber

  • Hendrik Lasch, Freiberg
  • Lesedauer: 4 Min.
In 241 sächsischen Orten werden am Sonntag die Bürgermeister neu gewählt. Parteien tun sich nicht selten schwer, eigene Bewerber zu finden. Manchmal hilft der Zufall.

Er wollte ohnehin. Anfang des Jahres, sagt Marcel Dönicke, habe er sich im Rathaus von Freiberg erkundigt, wie man Oberbürgermeister wird. In der Universitätsstadt im Erzgebirge wird am Sonntag - wie in 240 weiteren Orten in Sachsen - ein neuer Rathauschef gewählt. Der Amtsinhaber tritt nicht mehr an, stattdessen hatten zunächst vier Bewerber den Hut in den Ring geworfen: zwei Fachbürgermeister von CDU und SPD, ein Fahrlehrer mit lokaler Berühmtheit, eine Händlerin, die im Karnevalsverein aktiv ist. »Alles nicht die Wucht«, sagt Dönicke, ein 29-jähriger Student der Bergakademie. Also wollte er wissen, wie auch er kandidieren kann. 100 Unterschriften von Unterstützern - viel mehr, erfuhr er, braucht es nicht: »Da begann ich, über ein Programm nachzudenken.«

Dönicke ist eine Ausnahme: ein junger Mensch, der aus freien Stücken in die kommunale Politik drängt. In vielen sächsischen Gemeinden ist das Interesse dagegen, höflich ausgedrückt, zurückhaltend. Für 241 Bürgermeisterposten bewerben sich gerade 502 Kandidaten. In Dresden gibt es zwar sechs Bewerber, in vielen kleinen Gemeinden aber nur einen - und in Vierkirchen im Kreis Görlitz gar keinen.

Vor allem für viele Parteien sind die Wahlen ein schwieriges Pflaster. Unter den 502 Interessenten sind zwar 136 von der CDU, aber nur 35 von der SPD, je 14 von FDP und AfD, drei von den Grünen. Die LINKE, die zweitstärkste Kraft im Landtag ist und im Freistaat über 9000 Mitglieder hat, bringt es auf gerade 28 Kandidaten.

Auch in Freiberg tat man sich zunächst schwer, bestätigt Achim Grunke, der Vizechef des Ortsverbandes. Es habe zwar etliche geeignete Anwärter gegeben, sagt er: »Aber in die Bütt steigen wollte keiner.« Im Interview mit der Lokalzeitung räumte das der Ortsvorsitzende auch ein. Der Artikel wiederum landete auf Umwegen bei Dönicke - der daraufhin der Partei ein Angebot unterbreitete: Er könne ja für sie ins Rennen gehen. Man traf sich, man unterhielt sich, und man fand sich: »Es passt«, sagt Grunke. So kam die Freiberger LINKE zum Kandidaten wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind. Allerdings: Ganz recht schien die Bewerbung manchem auch wieder nicht gewesen zu sein, hatte es doch bereits Überlegungen gegeben, den Bewerber der SPD zu unterstützen. Hintergrund sind Absprachen für die Wahl der Landräte, bei denen LINKE, Grüne und SPD in mehreren Landkreisen in Sachsen Kräfte bündeln wollen, um einen erneuten Durchmarsch der CDU zu verhindern. Darunter ist der Kreis Mittelsachsen, in dem Freiberg liegt.

Dass die dortigen Genossen doch einen eigenen Bewerber für das Rathaus hatten, habe im Kreis für Überraschung gesorgt: »Wir mussten das intensiv erklären«, formuliert Grunke. Am Ende überzeugte wohl auch die Person des Kandidaten: Dönicke, der bei Freiberg aufwuchs und nach einer Lehre und etlichen Arbeitsjahren als Berufskraftfahrer im sechsten Semester Energietechnik studiert, widerlegt das Klischee von der LINKEN als Partei der reiferen Semester; er ackert sich rasch in kommunalpolitische Themen ein und macht mangelnde Erfahrung durch umso größeren Eifer wett - und er scheut sich im Wahlkampf nicht vor inhaltlichen Debatten mit den Platzhirschen von CDU und SPD.

Kritik übt er vor allem an mangelnder Transparenz im Rathaus. Details zu Debatten und Beschlüssen würden oft nicht veröffentlicht, Themen in geschlossener Sitzung behandelt. Dabei solle Verwaltung »Interessen der Bürger wahrnehmen, nicht ihre eigenen oder die Dritter«. Daneben will er eine bessere Koordinierung der Arbeit für und mit Flüchtlingen durchsetzen - und ein Glasflaschenverbot in der Innenstadt: »Das wünschen sich Kommilitonen.«

Wie viele Freiberger er damit überzeugt, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird die Entscheidung ohnehin erst im zweiten Durchgang am 21. Juni fallen, weil bei fünf Bewerbern keiner die zunächst erforderliche Mehrheit von 50 Prozent erzielen dürfte. Ob er im Rennen bleibt, hänge davon ab, wie er im Vergleich zu SPD-Bewerber Sven Krüger abschneide, sagt Dönicke. Liege dieser vor dem Kandidat der LINKEN, sagt Grunke, »werden wir ihn im zweiten Wahlgang unterstützen«. Die Partei hätte dann keinen eigenen OB, aber ein Mitglied mehr: Wenn er nicht das Überparteilichkeit fordernde Amt erringt, will Dönicke eintreten.

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