Abtauchen ins Mittelalter
In Thüringen wurde für Taucher ein Dorf gebaut und versenkt
Die Umgebung ist kühl, das Licht diffus. So ist es meistens in Nordhusia. Obwohl die kleine Gemeinde auf keiner Landkarte zu finden ist, begeben sich dennoch in den wärmeren Monaten zwischen 150 und 200 Besucher pro Wochenende auf einen Stadtrundgang der etwas anderen Art. Bestückt mit Neoprenanzug und Druckluftflasche machen sie sich auf den Weg zu Deutschlands erster Unterwasserstadt. Regelrecht schwebend passieren sie dabei die 15 Meter lange Stadtmauer mit ihrem fünf Meter hohen Wehrturm. Danach sind es nur noch wenige Flossenschläge bis ins Zentrum Nordhusias auf dem Grund des Sundhäuser Sees in Nordhausen.
Gründer der mittelalterlich gestalteten Siedlung ist Wolfgang Tröger. Seit zehn Jahren betreibt der Thüringer am Südrand des Harzes das Actionsport Tauchsportzentrum Nordhausen. Während viele Gewässer mit platzierten Wracks, darunter Schiffe und Flugzeuge, um die Gunst der Taucher buhlen, hatte Tröger in der ehemaligen Kiesgrube größeres vor: »Wir suchten nach etwas Neuem, was zugleich einen regionalen Bezug hat. Und so reifte die Idee von Nordhusia.« Nordhusia lautet der mittelalterliche Name der Thüringer Stadt.
In rund zwölf Metern Tiefe beginnt die Reise in die Vergangenheit. Gemeinsam mit zwei Fachwerkhäusern, einem Brunnen sowie einem Friedhof bildet die erste geweihte Unterwasserkirche des Landes das Zentrum Nordhusias. Ein Stück weiter gelangt man in den Stadtpark mit verschiedenen Bäumen und dem obligatorischen Galgen, der in keiner mittelalterlichen Gemeinde fehlen darf. Bewohner hat Nordhusia selbstverständlich auch. Diese stammen von Dieter Krüger. Aus massivem Eichenholz schuf der Kettensägenkünstler lebensgroße Skulpturen für jedes Gebäude.
Fünf Jahre dauerte der Bau Nordhusias. 2010 wurden die ersten Schwerbetonplatten als Fundamente im Schlickboden des Sees platziert. »Soweit es ging, haben wir hier alles vor Ort selbst gemacht«, berichtet der promovierte Chemiker. Am schwierigsten sei es gewesen, ein geeignetes Baumaterial für die Gebäude zu finden. »Es musste fest, beständig und vergleichsweise leicht sein, damit wir die Gebäude im See noch mithilfe von Pontons zentimetergenau an die richtige Stelle manövrieren konnten. Letztendlich haben wir uns für eine spezielle Gasbetonmischung entschieden«, so der 65-Jährige.
Ein Grund für die Beliebtheit Nordhusias ist die hervorragende Wasserqualität des Sundhäuser Sees. »Wir garantieren Sichtweiten von fünf Metern. An guten Tagen sind es sogar bis zu 20 Meter«, schwärmt Wolfgang Tröger. Diese Aussichten dürften die Herzen erfahrener Unterwassersportler höher schlagen lassen. »Oftmals berichten uns auswärtige Besucher, dass sie in ihren heimischen Seen kaum weiter als einen halben Meter schauen können«, erklärt der Basisleiter. Für die ungewöhnlich hohen Sichtweiten ist der starke Grundwasserzufluss innerhalb des Sees verantwortlich. So zieht es regelmäßig Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet sowie den angrenzenden Nachbarländern nach Nordhusia.
Auch ohne Taucherfahrung kann man das versunkene Nordhusia besichtigen. Wer erst einmal testen möchte, wie sich die schwerelose Unterwasserwelt anfühlt, sollte einen Schnupperkurs buchen. Dabei begibt man sich unter fachkundiger Anleitung auf eine einmalige Erkundungstour in die glasklaren Fluten des Sees. »Ein ausgebildeter Taucher ist man danach jedoch noch nicht«, erläutert Tröger. »Wer bei uns den Sport richtig lernen möchte, sollte neben einer ärztlichen Tauglichkeitsbescheinigung mindestens drei Tage Zeit mitbringen.« Die außergewöhnlichste Stadtführung ermöglicht jedoch die Tauchfahrt in einem U-Boot. Allerdings ist dieses Vergnügen stets nur auf ein Wochenende im Jahr beschränkt. »Ein eigenes U-Boot ist in der Anschaffung und im Unterhalt zu teuer, daher leihen wir es uns samt Kapitän von einer befreundeten Tauchbasis im niedersächsischen Hemmoor«, so Tröger. Am 10. und 11. Oktober wird das U-Boot in diesem Jahr zu Wasser gelassen. Für jeweils eine halbe Stunde führt es dann zwei Gäste trockenen Fußes durch Nordhusia.
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