Wie das erste Gras im Frühling
Das »ensemble unitedberlin« musizierte Werke von Ralf Hoyer, Liza Lim und Georg Katzer
Was für Potenz in Neuer Musik steckt. Wie viel Publikum sie versteht anzuziehen und zu begeistern. Es ist eine Freude, das sehen und erleben zu dürfen. Diese Kunst, Rasanz ihrer Formung und hohe Kultur ihrer Umsetzung vorausgesetzt, findet allemal ihr Publikum. Das erwies zum wiederholten Male ein Konzert mit dem renommierten »ensemble unitedberlin«.
Da kam ein Stück namens »Eutopia« von Georg Katzer, das endet, als wäre die Welt umgeben von einem in derartigen Taktformen gänzlich unvertrauten Ton aus einer babykopfgroßen Muschel, ein mehrfach angestoßener Ton, der wirkt, als würde ein sanfter Mahnruf hinausgehen, so vernehmlich klar, dass er sich eigentlich über den ganzen Globus legen müsste, um der Kälte und Unbehaustheit, die auf Mutter Erde wie Mehltau liegt, beizukommen. Da legt der einstige Katzer-Schüler Ralf Hoyer ein Werk hin, wie er es noch nie hingelegt hat, eine Komposition voller Einfälle und ungebärdiger Drangfülle, deren ungestüme Verläufe zu hören einem das Herz höher schlagen lässt.
Literatur dreier Jubilare standen bzw. stehen in diesen Wochen im Fokus von »unitedberlin«: Luca Lombardi (70), Georg Katzer (80) und Vinko Globokar (80). Verachtet mir die Meister nicht, sagt sich auch Geiger Andreas Bräutigam, Mitgründer und organisatorischer Kopf des 1989 gebildeten Ensembles, einer genuinen Ostentwicklung, und seien dieselben noch so ergraut und kahlköpfig. Gute Kunst kennt kein Verfallsdatum. Altes, Älteres weiß sich allemal zu bewähren. Glaubt die Umwelt es tot, ist es nur zum Schein tot. Immer und zu jeder Zeit werden sich Nachwachsende finden, jenes hohe Gut neu zu entdecken und zu verlebendigen. So jedenfalls die Hoffnung, und die stirbt bekanntlich ohnehin nie. »Unitedberlin« ist beispielgebend in dieser Hinsicht.
Jenes Konzert mit Stücken von Luca Lombardi, des Römers und Meisterschülers von Paul Dessau, lief erfolgreich Ende Mai im gut klingenden (ein Akzent zu halligen) Saal der Elisabeth Villa in der Chausseestraße. Am 21. Juni wird »Féte de la Musique - vier Ensembles ehren Vinko Globokar« im selben Saal starten und in die plurale Klangwelt des linken, unerhört sprachmächtigen, aus Slowenien stammenden Komponisten, Posaunisten und europäischen Avantgardisten einführen. Man darf gespannt sein.
In der Mitte nun die Ehrung Georg Katzers und mit ihm Ralf Hoyers und Liza Lims, einer australischen Komponistin; der außerordentlich bescheidene, kollektiv denkende Katzer will immer, dass Gefährtinnen dabei sind. Gespannt die Erwartung. Sie wurde über die Maßen erfüllt. Vor dem Konzert, dies zur Information, lief ein Jour fixe zum Thema »Erweiterter Musikbegriff: Der singende, steppende Kontrafagottist«. Kontrabassist Matthias Bauer, Virtuose der Theatralisierung von Musik, kommentierte das Gespräch mit dem Katzer-Stück »L’homme machine«, ein vielerorts von Bauer burlesk aufgeführtes, urfröhliches Stück.
Zu Beginn am Abend, schon genannt, »Eutopia« (glücklicher Ort), jüngste Arbeit Katzers, ein Ensemblewerk höchsten ästhetischen Anspruchs, eins durchaus mit Weltblick. Das Ensemble »Musikfabrik« hat es vor wenigen Wochen in Köln aus der Taufe gehoben. Nun die Reprise unter keinem geringeren als Vladimir Jurowski, der in Moskau und Dresden Dirigieren und Chorleitung studiert hat, von 1997 bis 2001 Erster Kapellmeister des Orchesters der Komischen Oper, Musikdirektor an der Glyndeborne Opera, sodann Erster Dirigent beim London Philharmonic Orchestra war. Ein Mann, der für Katzer-Musik ein Faible hat, der überhaupt aus seiner Liebe zu Neuer Musik keinen Hehl macht. So war der hohe Gast hierorts ganz bei der Sache.
Katzers »Eutopia«, eine der »Schönheit« widerstreitende wie diese innig umarmende Komposition, bringt ein Streichquintett, drei Bläser (Flöte, Bassklarinette, Trompete), Klavier und Schlagzeug in Anschlag und formuliert eine Varietät farblich-klanglicher Nuancen und Erregungen, kulminierend in besagten Muscheltönen. Dieselben erstaunen mindestens so sehr wie der Brummkreisel, den Dirigent Jurowski am Schluss der »Szene« für Kammerensemble kreiseln lässt und auf den alle Musiker schauen, als würde eben ein klangliches Wunder geschehen. Hoyers Elf-Minuten-Stück für elf Spieler indes, betitel mit »weiter (Zustand 6)«, lebt von der Schichtung und Multiplikation enorm dynamisierter Repetitionsvorgänge. Ein Wurf wahrlich, diese Schöpfung.
Bisweilen wirkt, was 30 Jahre und länger in der Schublade schmort und den Moment erwischt, neu ins Leben zu treten, so frisch wie das erste Gras im Frühling, und es duftet auch so. So konnte die genannte »Szene« für Kammerensemble von Katzer, komponiert 1975 für die Gruppe Neue Musik »Hanns Eisler«, final erlebt werden. Instrumentales Theater über die Achtungen und Missachtungen, die Verständnisse und Missverständnisse von Kunst während der Goethezeit und jetzt und hier. Wiederkunft eines Meisterstücks.
»Unitedberlin« unter Jurowski auch hier absolut auf der Höhe der so komischen wie überraschenden Geschehnisse. Der Saal tobte vor lauter Glück.
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