Miese Stimmung in Baku
Die Gastgeber beklagen vor den Europaspielen »Schmutzkampagne« gegen Aserbaidshan
An den Tagen vor dem großen Tag lieferte Baku noch einmal spektakuläre Bilder: Von einem der drei 190 Meter hohen »Flammentürme« seilte sich ein Kletterer mit dem Olympischen Feuer ab, das bereits seit Wochen durch das Land am Kaspischen Meer getragen wird. Am »Heydar-Aliyev-Centre«, dem gigantischen Kulturzentrum, das Star-Architektin Zaha Hadid schuf, durfte ein einheimischer Bildhauer die Flamme präsentieren, die ein paar Tage zuvor auch vom Präsidenten Ilham Alijew, seiner Frau und seinen Kinder über die Straßen der aserbaidshanischen Hauptstadt getragen wurde.
Am Freitag soll das Feuer dann groß entzündet werden: Die ersten Europaspiele beginnen - wie es sich auch für ein europäisches Olympia gehört - mit einer prunkvollen Eröffnungsfeier. Alle Tickets für das Olympiastadion sind verkauft, 68 000 Zuschauer werden die Ränge der neuen 100 Millionen Dollar teuren Arena füllen.
Europa trifft so langsam ein in Baku, wie etwa auf dem Foto der aserbaidshanische Radprofi vorm Athletendorf. 6000 Sportler aus 50 Ländern werden hier am Start sein, mehr als in Sotschi bei den Winterspielen. Auch die Reporter kommen dieser Tage an, das »nd« beispielsweise: Um drei Uhr morgens Landung auf dem Heydar Alijew Airport, benannt nach dem Vater des jetzigen Präsidenten, nach dem in Aserbaidschan sehr, sehr, sehr vieles benannt ist: Straßen, Plätze, Sporthallen, Stiftungen, Museen.
Im nächtlichen Flieger nach Baku herrschte die helle Freude: holländische Wasserballerinnen, allesamt blond, laut, lachend. Schlafen? War nicht, auch nicht für die drei Jungs aus Ulm – ein Aseri und zwei Türken, die am Kaspischen Meer urlauben wollen. Zuerst hatten sich die Freunde diebisch gefreut, in der vorletzten Reihe inmitten der Oranje-Mädels zu sitzen. Nach einer Stunde im Gekicher und Gegacker waren die Aserbaidshan-Reisenden nicht mehr ganz so überzeugt von ihrem Check-in-Glück.
Womöglich hätten sie nun doch lieber vorn bei den stillen slowakischen Gymnastinnen gesessen. Deren Trainer blickte die ganze Zeit so streng drein, dass die Gefahr übertriebener Fröhlichkeit nie bestand. Erst der Wettkampf, dann das Vergnügen. Ringsum wurde friedlich geschlummert.
Die Eckdaten des neuen Europa-Sportfestes sind nah am großen Vorbild Sommerolympia: 6000 Sportler aus 50 Ländern sind dabei, darunter 265 Starter aus Deutschland - eine der größten Mannschaften in Baku. Am Frankfurter Flughafen verkündete der Deutsche Olympische Sportbund gestern, wer die Fahne ins Olympiastadion tragen wird: Turner Fabian Hambüchen (27), der neben Fechterin Britta Heidemann und Tischtennisprofi Timo Boll der populärste Athlet der deutschen Baku-Delegation ist.
Es sei eine »Riesenehre« für ihn, verkündete der ehemalige Reck-Weltmeister aus Wetzlar: »Ich freu mich riesig.« Hambüchen mag Multisportevents: Auch bei der Universiade 2013 im russischen Kasan turnte er mit, zuvor zweimal auch bei Olympia: 2008 und 2012. Zum allgegenwärtigen Thema Menschenrechtslage in Aserbaidshan befragt, sagte Hambüchen gegenüber der Nachrichtenagentur »dpa«, die Sportler würden sich »zusammensetzen und überlegen, was wir machen werden«. Es werde aber keine konkreten Aktionen geben.
Was die Außenwirkung der Spiele anbetrifft, ist den Veranstaltern die Stimmung ziemlich vermiest: Alles Bemühen, Westeuropäern ein Bild von Aserbaidshan zu verschaffen, das dem Selbstverständnis der 23 Jahre alten Republik entspricht, fruchtet nicht. Die gravierenden Einschränkungen in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit (Rang 162 von 180 in der Rangliste von »Reporter ohne Grenzen«) überdecken das, was Aserbaidshan der internationalen Gemeinschaft anzubieten sucht: Gastfreundschaft, religiöse Toleranz, Säkularismus, Weltoffenheit, Stabilität. Die aserbaidshanische Vertretung in Berlin gab am Dienstag eine Presseerklärung »zur unberechtigten Kritik an den kommenden Europaspielen« heraus, in der formuliert wird, die Berichterstattung in Deutschland erwecke den Eindruck einer »Schmutzkampagne« gegen ein Land, das seit 2001 dem Europarat angehört, freien Zugang zum Internet gewähre und die Versammlungsfreiheit gewährleiste.
Doch die Kritik geht weiter. Für neue Schlagzeilen sorgte am Mittwoch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI), die eine geplante Pressekonferenz in Baku absagte. AI berichtete, von der Botschaft in London sei mitgeteilt worden, Aserbaidshan sehe sich »nicht in der Lage, Amnesty zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Baku willkommen zu heißen«. Die Londoner Organisation »Platform« beklagte, ihre Aktivistin Emma Hughes sei am Flughafen Baku die Einreise verweigert worden. Hughes soll als Journalistin akkreditiert gewesen sein.
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