Twitter sucht sein Geschäftsmodell
Nach Rücktritt von Chef Costolo geht es um die Zukunft
Im Januar 2009 ging ein Foto um die Welt: Fröstelnde Menschen stehen dicht gedrängt auf der Tragfläche eines Flugzeugs, das im Hudson River schwimmt. Der Internetunternehmer Janis Krums verschickte das Bild an seine damals 170 Abonnenten beim Kurznachrichtendienst Twitter. An diesem Tag erkannten viele die Macht von Twitter als Plattform für heiße News. Egal ob bei den Protesten in Ägypten oder dem Bombenanschlag auf den Marathon in Boston - Twitter ist eine schnelle, wenn auch nicht immer verlässliche Informationsquelle.
Das allein bringt allerdings noch kein Geld. Nun trat Chef Dick Costolo zurück. In seinen fast fünf Jahren an der Spitze hatte er keine zufriedenstellende Lösung für ein Geschäftsmodell gefunden. Erst hatten die Gründer lange auf Werbung verzichtet, schließlich kam sie doch - mit mäßigem Erfolg.
Twitter verweist darauf, dass das Wachstum nicht so schlecht sei - die 436 Millionen Dollar Umsatz im ersten Quartal bedeuten einen Sprung von 74 Prozent im Jahresvergleich. Doch die Börse will Twitter am Konkurrenten Facebook messen. Der weist 1,44 Milliarden Nutzer, einen Quartalsumsatz von 3,54 Milliarden Dollar und 512 Millionen Dollar Gewinn aus. Twitter fuhr hingegen mit 300 Millionen Nutzern einen Verlust von 150 Millionen Dollar ein.
Nun hat die Wall Street keine Probleme mit roten Zahlen, wenn sie dahinter eine Wette auf künftiges Wachstum vermutet. Doch das vermisst sie bei Twitter. 2014 gingen fast 700 Millionen Dollar für Entwicklungskosten und über 600 Millionen für Marketing drauf. Der Lohn waren 47 Millionen neue Mitglieder, ein Plus von 18 Prozent.
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Selbst einstige Weggefährten verlieren die Geduld. So forderte der Internetinvestor Chris Sacca vor wenigen Tagen in einem offenen Brief einschneidende Änderungen. Unter anderem solle Twitter stärker auf Nutzer zugehen, die nicht ständig den Dienst beobachteten.
In der Costolo-Ära hat es sich Twitter zudem mit vielen App-Entwicklern verscherzt. Das Unternehmen war zu sehr bestrebt, die Nutzer auf der Website und in eigenen Anwendungen zu halten.
Nun übernimmt ab Juli übergangsweise wieder Mitbegründer Jack Dorsey das Twitter-Ruder. Dass er es herumreißen kann, scheint fraglich. dpa/nd
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