Brüsseler Geduldspiele gegen griechische Ernsthaftigkeit
Eine Einigung zwischen Athen und den Gläubigerinstitutionen steht weiter aus
Nach 45 Minuten war Schluss. Es dauerte keine Stunde, bis EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Treffen mit dem Verhandlungsteam der griechischen Regierung und Vertretern der anderen Gläubigerinstitutionen von Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) am Sonntagabend beendete. Es gebe bei den diskutierten Reformen für das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland einen deutlichen Unterschied zwischen den Plänen der Geldgeber und Athens, teilte ein Kommissionssprecher anschließend in Brüssel mit.
Er wollte dies anders als so manches deutsche »Leitmedium« nicht als endgültiges Scheitern der Gespräche und damit als Schritt Richtung »Grexit« verstanden wissen. »Präsident Juncker bleibt überzeugt, dass mit verstärkten Reformanstrengungen auf der griechischen Seite und politischem Willen auf allen Seiten eine Lösung bis Monatsende gefunden werden kann«, so der Sprecher weiter. Die griechische Regierung hat das Ausbleiben einer Einigung dagegen damit begründet, dass die Vertreter der Institutionen selbst angaben, gar keine Entscheidung fällen zu können. »Trotz der Anwesenheit der griechischen Delegation in Brüssel hat es von Seiten der Institutionen keinerlei Bemühungen darum gegeben, die Gespräche auf entscheidungsbefugter Ebene fortzuführen und so zur Lösung der noch offenen Fragen zu kommen«, erklärte Vizeregierungschef Gianis Dragasakis am Sonntag.
Am 30. Juni läuft das schon zwei Mal verlängerte Kreditprogramm für Griechenland auf europäischer Seite aus. Ohne Einigung droht Athen die Pleite. Die Regierung muss bis Monatsende 1,6 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen und benötigt dafür einen Teil der 7,2 Milliarden Euro, die die Institutionen zurückhalten.
Die Verhandlungen sollen nach dem Willen Junckers nun in der Eurogruppe fortgesetzt werden, die am Donnerstag in Luxemburg tagt. Dabei dürfte es um weitere Einsparungen im griechischen Haushalt gehen, die die Gläubiger verlangen. Aus Athen hieß es erneut, die Forderungen seien »absurd«. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat etwa das Beharren auf weitere Kürzungen der Renten kritisiert. Griechenland werde dennoch »geduldig warten, bis die Institutionen in der Realität ankommen«, zitierte ihn die linksgerichtete Athener Zeitung »Efimerída ton Syntaktón« am Montag. Seine Regierung wünsche sich »ernsthaft«, dass es eine Lösung gibt, fügte er hinzu.
Einen Schritt dahin machte sie denn auch am Montag. So akzeptierte die SYRIZA-geführte Regierung die Vorgabe der Gläubiger, in diesem Jahr einen Primärüberschuss, also einen Haushaltssaldo ohne Schuldendienst, von einem Prozent zu erreichen. Dies teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Bislang hatte Athen auf einem Ziel von maximal 0,75 Prozent beharrt, was dem Land geringere Einsparungen abverlangen würde.
Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sieht nun die Institutionen am Zug. »Endlich sind wir an den Punkt gelangt, wo die Partner Entscheidungen treffen müssen«, sagte Varoufakis dem SYRIZA-Sender »Sto Kokkino«. Athen spiele keine Spiele und bluffe nicht, betonte er. Athen habe den Gläubigern mehrere alternative Vorschläge für Sparmaßnahmen gemacht. Diese aber bestünden weiter auf Rentenkürzungen. Griechenland werde dem nie zustimmen.
Von der Forderung nach Rentenkürzungen distanzierte sich derweil die EU-Kommission. »Die internationalen Institutionen verlangen ausdrücklich nicht, individuelle Rentenbezüge zu senken, sondern dringen auf eine schrittweise Abschaffung großzügiger Frühverrentungsregelungen und eine effizientere Verwaltung durch eine Zusammenführung verschiedener Rentenprogramme«, sagte Kommissionssprecherin Annika Breidthardt. Damit wären Einsparungen von einem Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung möglich.
Dem entgegnet der Europaabgeordnete Fabio De Masi (LINKE), SYRIZA habe trotz des mittlerweile im EU-Vergleich überdurchschnittlichen Renteneintrittsalters selbst bereits vorgeschlagen, die Frühverrentung einzuschränken, die wegen der Jobvernichtung durch die Kürzungsprogramme der vergangenen Jahre als eine Art Arbeitslosenversicherung wirkte. »Die Rentenansprüche sollen an das versteuerte Einkommen gekoppelt werden, um Steuerehrlichkeit zu fördern. Die Gläubiger wollen aber den kleinen Rentnern ins Portemonnaie, obwohl die bereits erfolgten Rentenkürzungen der Troika verfassungswidrig waren«, erklärte De Masi gegenüber »nd«. Der Wirtschaftspolitiker wirft den Institutionen vor, nicht als seriöse Verhandlungspartner aufzutreten. »SYRIZA hat 47 Seiten Reformen geliefert. Die Gläubiger haben mit fünf Seiten Kürzungsmist geantwortet«, so De Masi. Er spricht sich zudem für einen Schuldenerlass für Hellas aus. »Wer kein Einkommen erwirtschaftet, kann weder Schulden bedienen noch den Haushalt sanieren.«
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