Warte, bis es dunkel ist
Im Kino: In »Was heißt hier Ende« porträtiert Dominik Graf den Filmkritiker Michael Althen
Die Zeiten, von denen dieser Film handelt, die sind wohl endgültig vorbei. Zeiten, in denen ein Münchner Journalimus-Schulabbrecher zu einer der Edelfedern der »Süddeutschen Zeitung« (SZ) werden konnte und zum vielleicht einflussreichsten Filmkritiker des Landes - zumindest von nationaler Warte aus betrachtet.
Michael Althen also, Filmkritiker bei der SZ und dann einer von sechs Redakteuren, die Frank Schirrmacher von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« in einem Revanche-Schlag gegen die Konkurrenz in sein Hauptstadtbüro nach Berlin holte, weil die SZ ihm ihrerseits ein paar seiner großen »Namen« abgeworben hatte. Ein führender Exponent einer Zeit also, als die Zeitungen noch nicht in der Krise steckten - oder jedenfalls erst bis ans Kinn. Einer Zeit, als fest angestellte Starschreiber mit profunder Sachkenntnis, einer schon beinahe romantischen, jedenfalls manchmal verklärenden Liebe zum Sujet und großer Wortgewandtheit noch Managergehälter kassierten und man sich mit der Filmkritik Berliner Villen in städtischer Bestlage verdienen konnte.
Dominik Graf hat den zweistündigen Film über Michael Althen gedreht, einen langjährigen Freund und gelegentlichen Ko-Regisseur: einer der höchstgelobten Film- und Fernsehregisseure der deutschen Gegenwart porträtiert eine der Edelfedern der Republik. Ein Nachruf, eine Würdigung, eine Verbeugung vor einem früh Verstorbenen, bei dem sich erst ganz gegen Ende seiner Karriere die ersten Ermüdungserscheinungen an der vorher nie versiegenden Passion für das Kino zeigten - ein Berufsrisiko, das jeder Filmkritiker trägt: irgendwann einfach alles schon einmal gesehen zu haben - oder fast: Weil nur die allerwenigsten Filmemacher, deren Filme auch außerhalb von Filmfesten und Filmreihen regulär im Kino laufen, das filmische Rad noch einmal ganz neu erfinden.
In Bildern und in Videos, in Ausschnitten aus einem Kurzfilm von Romuald Karmakar zum Thema Filmkritik und Berlinale, in Erinnerungen von Freunden, Weggefährten, von Eltern und Bruder, seiner Frau und seinen beiden Kindern wird Michael Althen hier noch einmal lebendig. Vor allem aber: im Wortlaut seiner Werke. Graf selbst liest sie, in Auszügen. Die schönsten Nachrufe: auf Antonioni, auf Audrey Hepburn, auf Robert Mitchum. Die schönsten Kritiken und sonstigen Überlegungen zum Thema Film: Althen über das leinwandfüllende, ansteckende, dabei immer irgendwie suspekte Grinsen von Tom Cruise, über Stars und Sternchen und Pornodiven auf den Partys von Cannes. Und über den Abspann moderner Filme, der vom Wörtchen »Ende« nichts mehr wissen will, weil die Prospektion ewiger Glückseligkeit ja kein Ende haben darf. Aus diesem letztgenannten Text, veröffentlicht im Essay-Band »Warte, bis es dunkel ist. Eine Liebeserklärung ans Kino« von 2002, stammt auch der Titel des Films.
Die Texte sind eindrucksvolle Zeugnisse der Persönlichkeit ihres Schreibers: ein Mann, der das Leben liebte, die Frauen (im Plural, jedenfalls auf der Leinwand) das Essen und das Reisen (besonders nach Venedig und Paris). Der an jedem Film etwas zu würdigen und zu bewundern fand, was allerdings auch Hauspolitik der SZ-Redaktion war, der kein Buch über das Kino ungelesen stehenlassen konnte, manisch Videos und DVDs sammelte, sich aber auch für die bildende Kunst begeisterte, für das Theater, für die anderen schönen, schwierigen, oftmals todtraurigen Dinge des Lebens.
Es reminiszieren: Pop-Schreiber Moritz von Uslar, »ZEIT«-Redakteur Stephan Lebert, »Focus«-Filmkritiker Harald Pauli, Andreas Kilb und Peter Körte, Kollegen beide bei der »FAZ«/ »FAS«, Tobias Kniebe von der »Süddeutschen« und Claudius Seidl, der einst wie Althen von München nach Berlin und von einem Verlag zum andern wechselte, dazu neben Karmakar noch die Filmemacher Wim Wenders, Christian Petzold und Tom Tykwer - mit dessen »Lola« Althen einst auf Tour ging, aus Liebe zu seiner Idee von Kino jede kritische Distanz für alle Welt sichtbar in den Wind schießend.
Von Generationenwechsel ist da viel die Rede, vom Verfall der Kritik, der Zeitungen, der Zeiten. Und von den besseren Tagen damals, von den jungen Wilden, den neuen Schreibern der »SZ«, zu denen Althen gehörte, bevor er selbst zur eleganten Speerspitze des kritischen Establishment wurde. Vom Wettbewerb der hungrigen Jungen untereinander und vom angestrebten Beerben der Vorgängergeneration, vom »Kalif werden an Stelle des Kalifen«. Denn Ambitionen hatte man schon auch - und die wurden für Althen erfüllt, als Peter Buchka starb, sein Mentor (und Vorgänger) bei der »SZ«. Ein Klüngel reminiszierender Männer, die von ihrer Jugend schwärmen, könnte man sagen (ein paar Alibi-Frauen sind aber auch dabei) - aber der Film schafft mehr.
Der ist ein echtes Zeitporträt geworden, und das, obwohl auch sein Produzent (und Ideator) ein Freund aus frühen Tagen ist. Der Film aber ist über die Würdigung eines viel bewunderten Einzelnen hinaus das belebte Bildnis einer vergangenen Ära des Feuilletons, als sich vielleicht schon abzeichnete, dass sich das Zeitungsmachen bald nicht mehr lohnen würde. Aber noch keiner lassen mochte von der hehren Idee, es müsse trotzdem selbstverständlich weiterhin gemacht werden.
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