Die heimliche Annäherung trägt Früchte
Informelle Gespräche zwischen der Hamas und Israel / Überraschende Erleichterungen für Palästinenser
Es waren harte Tage für Abdullah al-Khalili und seine Familie: »Wir haben geputzt, Waren bestellt«, sagt er, und fügt hinzu, er hoffe, dass nun auch die Kunden kommen können. Denn das Geschäft seiner Familie liegt in der Altstadt von Hebron.
15 Jahre lang war hier nichts - außer herunter gelassenen Jalousien aus Metall; nach dem Beginn der zweiten Intifada Ende 2000 hatten die Läden in der einst belebten Altstadt auf Anordnung des israelischen Militärs schließen müssen, um die Palästinenser von den gut 500 israelischen Siedlern fern zu halten, die nur wenige Meter weiter leben. Die Altstadt wurde deshalb zur Geisterstadt.
Bis zu dieser Woche. Völlig überraschend bekamen 70 der Ladenbesitzer die Mitteilung, die Läden dürften nun wieder geöffnet werden. Warum jetzt, warum diese Besitzer und nicht die anderen - das sind Fragen, die weder das Militär noch Israels Regierung beantworten.
Und das, obwohl die Ladenöffnungen in Hebron Teil eines Maßnahmenpakets sind, das es in diesem Umfang bislang noch nicht gegeben hat: Viele Straßensperren im Westjordanland wurden aufgehoben, palästinensische Ärzte, die in Israel oder in Ost-Jerusalem arbeiten, dürfen erstmals mit in Palästina zugelassenen Autos in Israel unterwegs sein. In Teilen des durch Israel annektierten Jerusalemer Ostens sorgen nun palästinensische Polizisten für Ordnung. Außerdem wurde die Menge gelieferten Wassers in die palästinensischen Gebiete erhöht; aus dem Gazastreifen dürfen Waren nach Israel eingeführt werden. Die Liste ist nicht vollständig.
Gleichzeitig wurde bekannt, dass Israels Regierung und die Hamas bereits seit einiger Zeit direkt und indirekt miteinander über einen langfristigen Waffenstillstand verhandeln; fünf Jahre stehen im Raum. Gleichzeitig hatte Ägypten das Verbot der Hamas aufgehoben, das nach dem Machtwechsel in Kairo verhängt worden war. Der Hamas war vorgeworfen worden, die verbotene Muslimbruderschaft zu unterstützen.
Die Hamas hat nun auch wieder Zugriff auf ihre Konten, denn der Geldverkehr aus dem Gazastreifen wird über Ägypten abgewickelt. Außerdem wurde die Grenze erstmals seit Monaten wieder geöffnet; mehrere Hundert Tonnen Zement wurden so bereits nach Gaza geliefert.
Zwar betont Israels Regierung in diesen Tagen immer wieder, es handele sich dabei um einseitige Schritte, die nicht durch ein Entgegenkommen der Palästinenser gedeckt seien: Doch der Umfang widerspricht dem ebenso wie die Tatsache, dass der Zement in Ägypten überhaupt so kurzfristig verfügbar ist.
Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums berichten, die Maßnahmen und Verhandlungen sollten vor allem dazu dienen, die internationale Isolation zu durchbrechen: Frankreich will demnächst einen Resolutionsentwurf in den UNO-Sicherheitsrat einbringen, in dem ein Zeitplan für die Aushandlung eines Friedensvertrages festgelegt werden soll. Und ein Veto der USA dagegen gilt nicht mehr als gesetzt: Nach der Bildung einer rechtsreligiösen Regierung in Israel, die sich Siedlungsbau und massive Einschränkungen der Bürgerrechte in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, sitzt der Frust dort tief. Selbst die Israel-Lobby AIPAC ist auf Distanz gegangen.
Sowohl die israelische als auch die palästinensische Politik reagierte auf die Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. In Palästina trat die Einheitsregierung, die im Juni 2014 nach langen Verhandlungen zwischen Hamas und der Fatah von Präsident Mahmud Abbas gebildet worden war, offiziell zurück - ein symbolischer Schritt, denn tatsächlich hatte sie im Gazastreifen nie Einfluss. Dort regiert eine Schattenregierung der Hamas, die sich auf die Kassam-Brigaden stützt. Die Hamas habe durch ihre Verhandlungen mit Israel gegen die Einheitsregierung gearbeitet, sagt Regierungschef Rami Hamdallah.
Für die Hamas-Herrschaft in Gaza birgt die Annäherung an Israel aber auch Gefahren: Vor allem eine Gruppierung, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen hat, gewinnt an Zulauf; mehrmals wurden in den vergangenen Wochen Raketen auf Israel abgeschossen.
Israels Oppositionsführer Jitzhak Herzog begrüßte die Erleichterungen und fordert ebenso wie die linksliberale Partei Meretz noch weiter gehende Schritte: »Wenn das geht, dann gehen auch Verhandlungen.« Naftali Bennett von der Siedlerpartei »Jüdisches Heim«, die die Regierung jederzeit stürzen kann, kritisierte hingegen, dies widerspreche den Vereinbarungen; Regierungschef Benjamin Netanjahu solle lieber sofort die Genehmigungen für weiteren Siedlungsbau erteilen.
Netanjahu scheint das allerdings mittlerweile egal zu sein. Am Donnerstag fragten seine Berater erneut bei Herzogs Zionistischer Union wegen einer Regierungsbeteiligung an.
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