Ein Kühlsystem für die Erde
Sulfatpartikel in der Stratosphäre bremsen globale Erwärmung / Ein Mittel gegen den Treibhauseffekt?
Auf den Philippinen brach im Juni 1991 der Vulkan Pinatubo aus und schleuderte fast zehn Millionen Tonnen Schwefelverbindungen in die Stratosphäre. Die Folge: Innerhalb eines Jahres sank auf der Erde die Durchschnittstemperatur um ein halbes Grad, um danach wieder auf normale Werte anzusteigen. Wie Forscher feststellten, blieb das globale Klimasystem davon weitgehend unberührt.
Dieses gigantische »Naturexperiment« brachte den holländischen Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen unlängst auf eine spektakuläre Idee: Wäre es nicht denkbar, fragte er in der Zeitschrift »Climatic Change« (Bd.77, S. 211), jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Schwefelwasserstoff in die Stratosphäre zu schießen, um auf diese Weise die fortschreitende Erwärmung der Erde aufzuhalten? Denn in einer Höhe von 10 bis 30 Kilometern entstünden aus dem Schwefelwasserstoff durch Oxidation letztlich schwebende Sulfatpartikel, die einen Teil der Sonnenstrahlung ins All reflektierten. Dadurch käme es auf der Erde zu einer Abkühlung.
Crutzens Vorschlag wurde von anderen Klimaforschern sogleich heftig attackiert. Manche befürchten, dass Politik und Wirtschaft das Schwefelprojekt zum Anlass nehmen könnten, um die Kohlendioxid-Emissionen, die maßgeblich zur Aufheizung der Erde beitragen, nicht wie vereinbart zu drosseln. »Das wäre fatal«, entgegnet Crutzen. »Ich kämpfe für die Erforschung meiner Idee, nicht für ihre Umsetzung. Die Reduktion des Kohlendioxids hat natürlich absolute Priorität.« Das Schwefelprojekt sei daher nur eine Art Notlösung für den Fall, dass Industrieländer wie die USA oder China sich auch in Zukunft hartnäckig ihrer globalen Verantwortung entzögen.
Ob Crutzens Idee einer Schwefelkur überhaupt sinnvoll ist, hat Tom Wigley vom National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) jetzt am Computer untersucht. Er fand dabei heraus, dass der beste Weg zur Stabilisierung des Klimas eine Doppelstrategie ist: Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes plus Schwefel-Impfung der Stratosphäre. Denn schon ein globaler Temperaturanstieg von zwei Grad könnte auf der Erde verheerende Naturkatastrophen auslösen. Wollte man nun versuchen, allein durch die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen einen solchen Anstieg der Temperatur zu verhindern, müssten diese Emissionen um 50 Prozent in den nächsten 50 Jahren gesenkt werden, was illusorisch erscheint.
Aus diesem Grund hat Wigley im Computermodell die Stratosphäre zusätzlich mit Schwefel geimpft - unter der Voraussetzung, dass der Kohlendioxid-Ausstoß noch 60 bis 70 Jahre zunimmt und dann gedrosselt wird. Das Resultat seiner Simulation präsentiert er in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift »Science« (doi: 10.1126/ science.1131728): Würde man ab 2010 jährlich nur eine halbe Pinatubo-Ladung Schwefel in die Stratosphäre blasen, bliebe die Temperatur auf der Erde konstant. Zumindest für eine Gnadenfrist von mehreren Jahrzehnten. Erst danach wäre mit einem erneuten Temperaturanstieg zu rechnen.
Allerdings hätte ein höheres Schwefelaufkommen in der Stratosphäre mehr saure Niederschläge zur Folge. Und auch die Ozonschicht würde durch die Sulfatpartikel langfristig geschädigt. Gleichwohl ist Wigley der Ansicht, dass man technische Maßnahmen zum Schutz der Atmosphäre nicht von vornherein verteufeln, sondern deren Chancen und Risiken sachlich diskutieren sollte. Zumal die Probleme des klimatischen Wandels heute keineswegs gelöst sind. »Was tun wir«, fragt Crutzen, »wenn die Erwärmung viel schlimmer ausfällt, als es die derzeitigen Modelle vorhersagen?« Ein chemisches Kühlsystem für die Erde wäre dann vielleicht d...
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