Asylheim im Schlaglicht
Anwohnerversammlung zur geplanten Flüchtlingsunterkunft in Wünsdorf-Waldstadt
Über einem Gebäude am Bahnhof von Wünsdorf-Waldstadt weht eine blaue Fahne mit einer weißen Friedenstaube darauf. Doch in der 30 Minuten Fußweg entfernten Paul-Schumann-Sporthalle sitzen einige Leute, die lachen lauthals über die Bemerkung, Syrien sei ja bald leer, wenn es so weitergehe - so als wäre der Bürgerkrieg dort, als wäre das Leid der Kriegsflüchtlinge eine witzige Abgelegenheit. Es wird viel geschimpft am Donnerstagabend - und wenn gelacht wird, dann höhnisch. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) informiert die Anwohner über die Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft.
Die Zentrale Erstaufnahmestelle des Landes (ZAST) in Eisenhüttenstadt ist überfüllt. 6315 Flüchtlinge waren im vergangenen Jahr nach Brandenburg gekommen. 2015 werden mehr als doppelt so viele erwartet. Deshalb soll auch in Wünsdorf-Waldstadt, einem Ortsteil der Stadt Zossen, eine Außenstelle der ZAST entstehen. Hier gibt es die nicht voll ausgelasteten Verwaltungszentren A, B und C. Zunächst drei Behörden und später alle übrigen wie der Kampfmittelbeseitigungsdienst sollen B räumen, damit dort nach Herrichtung von drei Gebäuden ab Anfang 2016 erst einmal 500 Asylbewerber untergebracht werden können. Nach zwei weiteren Bauabschnitten sollen am Ende, im März übernächsten Jahres, 1200 Plätze zur Verfügung stehen. Die Behörden ziehen um in die Verwaltungszentren A und C. Das Grundbuchamt wird ans Amtsgericht Zossen verlegt.
Knapp 200 Nachbarn sind zur Anwohnerversammlung in die Sporthalle gekommen. Anfangs gibt es strenge Einlasskontrollen. Zuerst 900 Bewohner der vier nächstgelegenen Straßen hatten eine schriftliche Einladung erhalten, dann noch weitere 300 Anwohner. Als sich abzeichnet, dass viel weniger Menschen erscheinen als erwartet, darf jeder hinein. Per Lautsprecher wird die Veranstaltung nach draußen übertragen, obwohl sich zeigt, dass diese vorsorglich getroffene Maßnahme nun gar nicht mehr notwendig wäre. Drin wird gestritten, ob das Interesse doch nicht so groß ist wie geglaubt, oder ob mehr Anwohner gekommen wären, wenn sie nicht gedacht hätten, sie seien nicht erwünscht und dies sei ja sowieso nur eine Alibiveranstaltung.
Fest steht: Es gibt Ängste und Vorurteile im Ort. Was dran sei an dem Gerücht, dass in Wirklichkeit 3000 Flüchtlinge kommen sollen, will eine Frau wissen. Wenn man 1200 sage, dann meine man auch 1200, versichert Innenministeriumssprecher Ingo Decker. »Was ist mit unserer Sicherheit?« oder »Bekommen wir Jalousien?«, wird gefragt - und manch einer fragt so, als wolle er die Antwort gar nicht hören, sondern einfach nur schimpfen und Dampf ablassen. Da nutzt es wenig, wenn ZAST-Leiter Frank Nürnberger von eigentlich beruhigenden Erfahrungen in Eisenhüttenstadt berichtet. »Man darf sicherlich nicht sagen, alle Asylbewerber sind Engel. Es gibt gelegentlich Ladendiebstähle«, erklärt Nürnberger. »Aber Asylbewerber sind nicht häufiger straffällig als Deutsche.« Innenminister Schröter beschwichtigt: »Meine Damen und Herren, wir beabsichtigen nicht, hier eine Justizvollzugsanstalt einzurichten.«
Zwar klatschen dann ein paar Bürger. Aber den donnernden Applaus der Mehrheit kassieren andere, etwa Jean-Pascal Hohm, als er aufspringt und ruft: »Wann schieben Sie die Leute endlich ab?« Hohm ist der Landesvorsitzende der AfD-Nachwuchsorganisation »Junge Alternative«.
Mit der Begründung, dass im Schutze der Dunkelheit Straftaten verübt werden könnten, verlangt ein Mann unter dem tosenden Beifall der Zuhörer, dass die Beleuchtung instand gesetzt wird. In einigen Straßen sind die alten Laternen ausgefallen. Es wurden auch Teile aus den Schaltkästen gestohlen. Bürgermeisterin Michaela Schreiber sichert zu, dass bis zum Winter wieder alles funktioniert.
Im Dunkeln wurde ja tatsächlich schon eine Straftat verübt. Allerdings waren die Täter keine Flüchtlinge, sondern Flüchtlingsfeinde. Nachdem das Innenministerium das Verwaltungszentrum B als Asylheim ins Auge gefasst hatte, steckten zwei Neonazis in der Nacht zum 16. Mai Abfallcontainer neben einem der Gebäude in Brand. Nur durch das schnelle Eingreifen von Polizisten konnte größerer Schaden verhindert werden.
Beschädigt wurde mit dem Anschlag aber das Image von Zossen. Dabei gibt es in der Stadt auch andere Tendenzen. In der Flüchtlingshilfe Zossen betätigen sich 30 bis 40 Menschen, erzählt Jörg Wanke am Rande der Anwohnerversammlung. Wanke macht selbst mit. Die Flüchtlingshilfe reparierte zum Beispiel gespendete Fahrräder, um sie demnächst dem Asylheim in Ludwigsfelde zu übergeben. Die Helfer betreuen auch Syrer und Afghanen, die in Zossen leben, darunter eine afghanische Familie mit vier Kindern im Ortsteil Wünsdorf. Die zwei ältesten Kinder haben die Schule beendet. Das Mädchen absolviere nun eine Banklehre bei der Sparkasse, der Junge mache eine Ausbildung bei einer Logistikfirma, freut sich Wanke.
Später in der Bahnhofskneipe wertet ein Gast die Versammlung aus. Stammtischparolen über Politiker und Flüchtlinge fliegen hin und her. »Ob die Straßenbeleuchtung tatsächlich repariert wird?« Am Fahnenmast flattert die Friedenstaube.
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