Der Preis der Nachtruhe

Im Streit um den Rheintalbahn-Ausbau will Grün-Rot in Stuttgart die Anwohner unterstützen

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Baden-Württembergs grün-rote Regierung hat ein Problem: Die Bahn will den geplanten Ausbau der Rheintalstrecke möglichst kostengünstig durchziehen, doch Anwohner fordern mehr Lärmschutz.

Freiburg. Die Pläne zum Ausbau der Rheintalbahn im grün-rot regierten Baden-Württemberg sind seit Jahren umstritten. Nachdem der Stuttgarter Landtag in der vergangenen Woche einstimmig für eine höhere Kostenübernahme votierte, berät nun das Kabinett über das Thema. Konkret soll es auch am Freitag werden. Dann kommt in Stuttgart der Projektbeirat unter anderem mit Vertretern des Bundes, des Landes und der Region zusammen. Auf seiner Tagesordnung stehen Finanzen, Lärmschutz und Streckenführung.

Der Ausbau der Rheintalbahn ist neben Stuttgart 21 das größte Bahnprojekt in Baden-Württemberg. Das Vorhaben ist umstritten, vor Ort gibt es Widerstand - für die von den Grünen geführte Landesregierung ist das Ganze ein Spagat, insbesondere weil im kommenden Jahr Landtagswahlen anstehen. Geplant ist, die seit Jahren stark überlastete Schienenstrecke Karlsruhe-Basel von zwei auf vier Gleise zu erweitern. Die Strecke ist 182 Kilometer lang.

Dass die zusätzlichen Gleise gebaut werden, steht außer Frage. Denn Deutschland hat sich im Staatsvertrag von Lugano 1996 verpflichtet, die Schienenverbindung Karlsruhe-Basel auf vier Gleise auszubauen. In Basel sollen die Gleise mit dem Schweizer Schienennetz verbunden werden. Durch die beiden zusätzlichen Gleise soll sich die Reisezeit Karlsruhe-Basel nach Angaben der Bahn um 31 Minuten verkürzen. Hintergrund ist, dass einige Züge im Moment noch langsam durch Städte fahren. Auf untertunnelten Strecken könnten sie deutlich schneller sein.

Die Trasse, eine der meistbefahrenen Deutschlands, ist eine der wichtigsten Güterschienenstrecken Europas. Auch beim Schienenfernverkehr für Passagiere spielt sie eine zentrale Rolle - und für die Bahn ist sie hoch profitabel. Weil sie aber nur zwei Gleise hat, ist sie auf dem Weg zwischen Rotterdam und Genua seit Jahrzehnten ein Nadelöhr. Mit täglich mehr als 250 Zügen gilt sie als bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet.

Die Bahn schätzt die Kosten nach eigenen Angaben bislang auf rund 7,1 Milliarden Euro, das Verkehrsministerium in Stuttgart geht einer Anfrage im Bundestag zufolge derzeit aber nur von 6,2 Milliarden Euro aus. Doch auch das wird nicht reichen, weil mehr in Lärmschutz und in veränderte Streckenführungen investiert werden muss. Darauf drängen das Land, die Planungsbehörde und Vertreter der betroffenen Region.

Für die Finanzierung des Bahnausbaus ist grundsätzlich der Bund zuständig. Die Bahn beteiligt sich. Das Land hat sich bereit erklärt, einen Teil der zusätzlichen Kosten, die für weiteren Lärmschutz und andere Trassen entstehen, zu übernehmen. Auch am Bahnprojekt Stuttgart 21 beteiligt sich das Land finanziell.

Über die konkrete Realisierung wird gestritten. Ursprünglich sollte die neue Strecke bis zum Jahr 2020 fertig sein. Doch dieser Zeitplan ist nicht zu halten. Derzeit wird von einer Fertigstellung im Jahr 2030 oder später ausgegangen. Die Kritiker sind, im Gegensatz zu Stuttgart 21, nicht generell gegen den Bau. Aber sie fordern vielerorts eine andere Streckenführung, mehr Lärmschutz und zusätzliche Tunnel. Dadurch muss laut Landesregierung mit Mehrkosten von bis zu 1,8 Milliarden Euro gerechnet werden. Weil es eine Flut von Einsprüchen und Forderungen gibt, schiebt sich der Zeitplan immer wieder nach hinten.

Die Landesregierung unterstützt bisher die Forderungen der Anwohner. Die Bahn dagegen beharrt darauf, möglichst kostengünstig zu bauen. Die Bundesregierung hat nicht eindeutig Position bezogen.

Ein Brennpunkt ist Offenburg. Stadt und Land möchten dort die beiden neuen Gleise durch einen Tunnel führen. Die Bahn will oberirdisch durch die Stadt bauen. Weiter südlich wollen einzelne Gemeinden die Neubaustrecke entlang der Autobahn Karlsruhe-Basel ansiedeln, andere entlang der bestehenden Bahnlinie.

Das Regierungspräsidium Freiburg prüft die Pläne. Für den Abschnitt Offenburg hat die Behörde die Vorhaben der Bahn zurückgewiesen. Sie fordert neue Pläne, vor allem mit Blick auf einen besseren Lärmschutz. Letztlich entscheiden muss jedoch das Eisenbahn-Bundesamt. dpa/nd

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