Seehofer empfiehlt Hass
Parole vom »massenhaften Asylmissbrauch« statt Großherzigkeit
Mit seiner Mahnung, Flüchtlinge auch wegen der eigenen Erfahrungen mit Vertriebenen großherziger aufzunehmen, hat Joachim Gauck einerseits Beifall bei Menschenrechtspolitikern in Deutschland gefunden, sondern andererseits offenbar den Unwillen von Horst Seehofer geweckt. Der bayerische Ministerpräsident wies im »Münchner Merkur« die Behauptung zurück, dass der Umgang mit Flüchtlingen heute auch eine Lehre aus der Vertreibung im Zweiten Weltkrieg sei und prangerte seinerseits »massenhaften Asylmissbrauch« an.
»Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Heimatvertriebenen, dass sie solche Vergleiche nicht gerne hören«, sagte Seehofer der Zeitung. Auch sei die Situation in der aktuellen Flüchtlingspolitik nicht mit der Lage im Zweiten Weltkrieg vergleichbar. »Die Ursachen sind jetzt andere, jetzt geht es auch um massenhaften Asylmissbrauch. Ich finde diese Diskussion nicht angezeigt«, sagte Seehofer an Gaucks Adresse.
»Die Schicksale von damals und die Schicksale von heute« gehörten »auf eine ganz existenzielle Weise« zusammen, hatte dieser am Samstag am Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung gesagt, der zum ersten Mal in Deutschland begangen wurde - durchaus nicht zur Freude aller Kritiker des Bundes der Vertriebenen, der sich für einen solchen Gedenktag seit langem stark gemacht hatte.
Seehofer nutzte die Gelegenheit für eine Breitseite auf die nach seiner Meinung wohl zu liberale Gesetzeslage. Ein konsequenteres Vorgehen des Bundes und der Länder gegen Asylmissbrauch forderte er. »Vieles geht zu zäh. Es könnte längst mehr beschlossen sein.« Der Ministerpräsident und CSU-Chef forderte verstärkte Abschiebungen und »spätestens im September« weitere Beschlüsse im Bund: »Mehr Balkan-Staaten müssen zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, in die wir dann schneller abschieben können.«
Nach den Worten Seehofers will Bayern Essenspakete an Stelle von Geldleistungen für Flüchtlinge einsetzen - eine von Flüchtlingsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden heftig kritisierte Maßnahme, die auf die Betroffenen entmündigend wirkt und wohl auch wirken soll. Bayern hatte die Essenspakete erst Ende 2013 abgeschafft. »Die Abschaffung des Sachleistungsprinzips war zu einem Zeitpunkt, als wir keine Flüchtlingsströme wie heute hatten. Eine Politik für 50 000 Asylbewerber sieht aber anders aus als für 500 000«, so Seehofer. Die politischen Maßnahmen müssten angepasst werden.
»Hetzerisches«, sogar »fast ekelhaftes« Verhalten warf anschließend die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth dem bayerischen Regierungschef vor. Seehofer und die CSU dienten sich damit »der AfD und den Kräften rechts außen an«, sagte die Grünen-Politikerin der »Leipziger Volkszeitung«. »Wer angesichts von tausenden toten Flüchtlingen im Mittelmeer konsequent gegen ›massenhaften Asylmissbrauch‹ vorgehen und schneller abschieben will, der gießt Öl ins Feuer«, sagte die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, der »tageszeitung«. Seehofer rede denen das Wort, die Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung beschimpften und angriffen. »Das ist hinterwäldlerisch und gefährlich«, sagte Kipping. »Seehofers Hetze ist weder christlich noch sozial, sondern einfach nur zynisch und ätzend«, empörte sich der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte.
Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sprach von verantwortungsloser Stimmungsmache. »Wenn jetzt ausgerechnet aus der Politik wieder Ressentiments gegen Flüchtlinge geschürt werden, ist das verantwortungslos«, sagte Özoguz der »Passauer Neuen Presse«.
Bereits in der nächsten Woche wird der Bundestag über Asylrechtsänderungen entscheiden, die von Fachleuten als einschneidendste Verschärfung seit der Asylrechtsänderung im Jahr 1993 bezeichnet werden. Das Gesetzesvorhaben beinhaltet auch Maßnahmen zur besseren Integration von Bleibeberechtigten. Doch zugleich sollen Asylverfahren beschleunigt sowie Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern konsequenter abgeschoben werden.
Auch die Innenminister von Bund und Ländern hatten auf ihrer regelmäßigen Konferenz am Mittwoch und Donnerstag das Thema auf der Tagesordnung. Hilfsorganisationen hatten die Bundesländer zuvor aufgerufen, mehr Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten aufzunehmen. Aufnahmeprogramme für Menschen aus Syrien müssten fortgesetzt und auf den Irak ausgeweitet werden, forderte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Die Bundesländer müssten dringend die Regeln für den Nachzug von Familienangehörigen aus den Bürgerkriegsregionen lockern, lautete eine weitere Forderung der Hilfsorganisationen. Mit Agenturen
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.