Bierfahne und Baseballschläger

Im sächsischen Freital gibt es handfesten Ärger um ein Heim für Flüchtlinge

  • Fabian Lambeck und Johannes Richter, Freital
  • Lesedauer: 5 Min.
Seit Monaten gibt es in Freital Proteste gegen eine Asylunterkunft. Nun hat sich die Situation erneut zugespitzt.

Es herrscht Volksfeststimmung vor dem »Hotel Leonardo« in Freital. Überwiegend junge Menschen sitzen an diesem lauen Sommerabend auf der Straße vor der Unterkunft, viele von ihnen mit Migrationshintergrund. Der Asphalt ist mit Kreide bunt bemalt. Gleich soll eine Band spielen. Doch die Idylle trügt, denn sie muss von einem massiven Polizeiaufgebot geschützt werden. Hinter den Beamten stehen jene, die von der Stadtverwaltung als »asylkritische Demonstranten« bezeichnet werden. An diesem Donnerstag stehen hier ältere Anwohner aus den umliegenden Neubaublocks, die Angst vor »Diebstahl und Lärm« haben. Daneben Dynamo-Hooligans und jene Pegida-Wutbürger, die aus dem Umland angereist sind, um gegen die »vielen jungen islamischen Männer« zu protestieren, die wahlweise die »einheimischen Frauen im Bus belästigen« oder aber ihren »ganzen Clan nachholen«, wie ein Mittfünfziger mit intensiver Bierfahne erklärt. Eine sichtlich frustrierte Frau verdächtigt den Journalisten, heimlich alles aufzuzeichnen. Hier regiert die Paranoia und man verlässt sich lieber auf Gerüchte aus dem Bekanntenkreis, als auf Presseberichte. So behauptet der Mittfünfziger, die Ausländer würden sich »im Supermarkt die Einkaufswagen vollpacken und dann, ohne zu bezahlen, rausgehen«. Ein Mitarbeiter notiere lediglich, was die Migranten mitgenommen hätten. »Der Staat übernimmt dann die Rechnung.« Solcherart sind die Geschichten, die hier kursieren. In der Nähe stehen düster dreinblickende Glatzköpfe. »Division Sachsen« prangt auf ihren Shirts.

»Neonazis aus der Kameradschaftsszene Sachsens«, erklärt Jens Wolfer von der Opferberatung der RAA Sachsen. Wolfer beobachtet die Proteste gegen das Asylheim in Freital seit Monaten. »Freital ist der Schwerpunkt unserer Arbeit«. Nirgendwo im Freistaat sei der Widerstand gegen eine geplante Asylunterkunft so stark wie in der 40 000 Einwohner-Stadt vor den Toren Dresdens. Auf dem Höhepunkt der Proteste im März zogen 1500 Menschen durch die Stadt unter dem Motto: »Freital wehrt sich. Nein zum Hotelheim«. Trotzdem wurden rund 100 Flüchtlinge in dem ehemaligen Hotel untergebracht. Die Teilnehmerzahlen bei den »asylkritischen« Freitagsprotesten gingen zwar zurück, die Übergriffe auf Migranten und deren Unterstützer nicht.

Am Montag wurde dann bekannt, dass die Landesregierung kurzfristig 280 weitere Asylsuchende nach Freital schickt, weil die Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz hoffnungslos überfüllt ist. Die Stadtverwaltung war überrumpelt und der fremdenfeindliche Mob versammelte sich »spontan« vorm Hotel und kommt seitdem jeden Abend, angefeuert von Facebook-Gruppen wie der Bürgerwehr FTL, Frigida, dem lokalen Pegida-Ableger, oder »Freital wehrt sich«. Dabei flogen auch Flaschen und Böller.

Wolfer sieht eine Mitschuld bei der Landesregierung. Trotz der sich lange abzeichnenden Kapazitätsprobleme in Chemnitz habe man sich über Nacht entschieden, das Hotel Leonardo zu einer provisorischen Erstaufnahme zu machen. »Dabei ist Freital für Flüchtlinge nicht sicher«, unterstreicht Wolfer. Ohnehin spiele die seit der Wende regierende sächsische CDU eine unrühmliche Rolle. »In den vergangenen 25 Jahren hat man die zivilgesellschaftlichen Strukturen bewusst zerschlagen. Nun ist es schwer, die Leute zu erreichen«. Vor Ort in Freital sind zwei Unterstützergruppen für die Flüchtlinge aktiv: Das Willkommensbündnis Freital und die Organisation für Weltoffenheit und Toleranz, die allerdings nur sechs Mitglieder habe, wie Laura erzählt. Die Schülerin engagiert sich beim Bündnis, auch wenn das für sie nicht ganz ungefährlich ist. »An meinem Gymnasium in Freital sind viele Rechte.« Nicht einmal den Titel »Schule gegen Rassismus« habe man bekommen, weil die Eltern meinten, »das klingt zu sehr nach DDR«.

Kein ideales Umfeld für aufklärerische Arbeit. Zumal die CDU gern Ressentiments gegen Migranten schürt. Als die Kanzlerin im Januar erklärte, dass der Islam zu Deutschland gehöre, machte CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich umgehend klar, dass das nicht für Sachsen gelte. Der Freitaler CDU-Bürgermeisterkandidat Uwe Rumberg sprach im Wahlkampf mit Blick auf Asylbewerber von »Glücksrittern«. Eine Formulierung, die Pegida-Gründer Lutz Bachmann, der bei Freital wohnt, sich nun zu eigen gemacht hat und über Facebook verbreitet. So agieren die Schwarzen als Stichwortgeber für die Braunen. Als Ministerpräsident Tillich am Donnerstag das »Hotel Leonardo« besuchte, wirkte das wie ein Schuldeingeständnis, aber nicht wie eine Willkommensgeste.

Noch, so Jens Wolfer, »herrsche keine Pogromstimmung in Freital, aber das kann sich ändern«. Am Abend vor dem Heim bleibt alles ruhig. Die Polizeipräsenz ist einfach zu groß. Allerdings schützt sie nur das Umfeld des Heims. Brenzlig wird es für die Flüchtlingsunterstützer, wenn sie zurück nach Dresden fahren. Noch sichtlich geschockt erzählen zwei junge Leute, wie sie Mittwochnacht von zwei Autos verfolgt wurden, die versuchten, ihren Wagen von der Straße zu drängen. Als ihr Pkw zum Halten kam, sei aus einem der Verfolgerautos ein Nazi mit Baseballschläger herausgestürmt, schlug auf die Frontscheibe ein und zerstörte ein Seitenfenster, erzählt einer der beiden Betroffenen. Jagdszenen in Sachsen. Die Täter wurden ermittelt, sind aber auf freiem Fuß und eventuell schon wieder vor dem Heim.

Viele Flüchtlinge beobachten den Trubel vor ihrer Unterkunft mit Abstand, andere haben bereits Kontakte zu den Unterstützern geknüpft. Darunter ein Dolmetscher aus Afghanistan, der seit drei Wochen in einer Wohnung in Freital wohnt und bereits die letzten Abende vor dem Heim war. Ob er sich angesichts der grölenden Menge hinter der Polizeiabsperrung fürchte? »Ich habe in meinem Leben schon Schlimmeres erlebt, so etwas macht mir keine Angst mehr.« Ein anderer Afghane, der ebenfalls als Übersetzer arbeitete und vor den Taliban fliehen musste, nickt zustimmend. Er ist im 25 Kilometer entfernten Schmiedeberg untergebracht. Die Situation in seiner Unterkunft sei schwierig: »Wir teilen uns ein Zimmer mit Menschen, die uns unbekannt sind und die oft nicht dieselbe Sprache sprechen.« Er hat von den Ereignissen in Freital erfahren und ist deswegen extra angereist. Als ihm die rassistischen Parolen übersetzt werden, zeigt er sich überrascht. »Wir müssen allen Respekt entgegenbringen, egal welcher Herkunft. Wir sind doch alle Menschen und die Welt ändert sich so schnell.« Offenbar nicht in Freital.

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